Meine Erinnerungen an Schwester Faustina sel. Angedenkens
Es gibt Wahrheiten des heiligen Glaubens, die man gleichsam kennt und an die man oft denkt, aber man versteht sie nicht gut und lebt auch nicht nach ihnen. So war es mit mir in Bezug auf die Wahrheit der Barmherzigkeit Gottes. So viele Male hatte ich über diese Wahrheit in Meditationen nachgedacht, insbesondere bei Exerzitien, so viele Male hatte ich in Predigten über sie gesprochen und sie in liturgischen Gebeten wiederholt, aber ich hatte keinen Einblick in ihren Inhalt und ihre Bedeutung für das geistige Leben gewonnen, insbesondere hatte ich nicht verstanden und konnte dem auch vorläufig nicht einmal zustimmen, dass die Barmherzigkeit Gottes die größte Eigenschaft des Schöpfers, Erlösers und Heiligers ist. Es bedurfte erst einer einfachen und gottesfürchtigen Seele, die mit Gott innig vereint war und mir – wie ich glaube – aus der Eingebung Gottes darüber erzählte und mich zu Studien, Untersuchungen und Betrachtungen über dieses Thema anregte. Diese Seele war Schwester Faustina (Helena) Kowalska sel. Angedenkens aus der Kongregation der Töchter der Muttergottes der Barmherzigkeit, die langsam das erreichte, dass ich heute die Angelegenheit des Kultes der Barmherzigkeit Gottes und insbesondere die Einsetzung des Festes der Barmherzigkeit Gottes am 1. Sonntag nach Ostern als eines der Hauptziele meines Lebens betrachte.
Schwester Faustina lernte ich im Sommer (im Juli oder August) 1933 als Pönitentin in der Kongregation der Schwestern der Muttergottes der Barmherzigkeit in Wilna (Senatorska-Straße 25) kennen, in der ich damals ordentlicher Beichtvater war. Sie zog durch die ungewöhnliche Subtilität ihres Gewissens und die innige Vereinigung mit Gott meine Aufmerksamkeit auf sich: überwiegend gab es keinen Gegenstand zur Sündenvergebung, und niemals beleidigte sie Gott durch eine schwere Sünde. Gleich am Anfang erklärte sie mir, dass sie mich aus einer Vision kenne, dass ich ihr Gewissensführer sein solle und dass ich irgendwelche Pläne Gottes verwirklichen müsse, die durch sie vermittelt werden sollten. Ich schenkte ihren Worten keine Beachtung und unterzog sie einer Prüfung, die bewirkte, dass Schwester Faustina mit dem Einverständnis ihrer Oberin nach einem anderen Beichtvater zu suchen begann. Nach einiger Zeit kehrte sie zu mir zurück und verkündete, dass sie alles ertragen, aber nicht mehr von mir weggehen werde. Ich kann hier nicht alle Einzelheiten unseres Gesprächs wiederholen bzw. offenbaren; es ist zum Teil in ihrem Tagebuch enthalten, das von ihr auf meine Anweisung hin geschrieben wurde, denn ich verbot ihr hernach über ihre Erlebnisse bei der Beichte zu erzählen.
Als ich Schwester Faustina näher kennen lernte, stellte ich fest, dass die Gaben des Heiligen Geistes in ihr im Verborgenen wirken, aber in bestimmten, ziemlichen häufigen Momenten offener auftreten, indem sie zum Teil die Intuition gewährten, die ihre Seele lebendig überkam, und Aufwallungen der Liebe zu erhabenen, heroischen Akten der Aufopferung und Selbstverleugnung weckten. Besonders häufig trat das Wirken der Gabe der Erkenntnis, des Verstandes und der Weisheit auf, dank denen Schwester Faustina die Nichtwürdigkeit der irdischen Dinge und die Wichtigkeit des Leidens und der Erniedrigung klar sah, die Eigenschaften Gottes auf natürliche Weise erkannte, aber am meisten Seine unendliche Barmherzigkeit. Nicht selten heftete sie ihren Blick auf das unzugängliche beglückende Licht und hielt ihn eine gewisse Zeit darauf gerichtet, auf dieses unfassbar beglückende Licht, aus dem sich die wandelnde Gestalt Jesu mit der zum Segnen der Welt erhobenen rechten Hand abzeichnete, wobei Er mit der linken das Gewand in der Gegend des Herzens anhob; unter dem angehobenen Gewand drangen zwei Strahlen hevor: ein weißer und ein roter. Schwester Faustina hatte schon seit einigen Jahren solche und andere sinnliche und geistige Erscheinungen und hörte übernatürliche Worte, die sie mit dem Gehörsinn, der Vorstellung und dem Geist erfasste.
Aus Angst vor einer Täuschung, Halluzination und Wahnvorstellung der Schwester Faustina wandte ich mich an die Oberin, Mutter Irena, damit sie mich informierte, wer Schwester Faustina war, was für eines Rufes sie sich in der Kongregation bei den Schwestern und Vorgesetzten erfreute und bat um eine Untersuchung ihrer psychischen und physischen Gesundheit. Nachdem ich eine in jeder Hinsicht anerkennende Antwort erhalten hatte, nahm ich noch eine Zeit lang eine abwartende Haltung ein, zum Teil war ich misstrauisch, überlegte, betete und beriet mich mit aufgeklärten Priestern, was ich tun solle, ohne zu offenbaren, worum und um wen es ging. Und es ging um die Verwirklichung der angeblichen entschiedenen Forderungen Jesu, ein Bild zu malen, wie es Schwester Faustina sah, und am 1. Sonntag nach Ostern ein Fest der Barmherzigkeit Gottes einzusetzen. Endlich beschloss ich, eher von Neugier geleitet, was das für ein Bild sein wird, als vom Glauben an die Echtheit der Visionen der Schwester Faustina, an das Malen dieses Bild heranzugehen. Ich setzte mich mit dem Kunstmaler Eugeniusz Kazimirowski in Verbindung, der mit mir in einem Haus wohnte und für eine bestimmte Summe das Malen übernahm, und mit der Oberin, die Schwester Faustina gestattete, zweimal wöchentlich zu dem Maler zu gehen, um zu zeigen, was für ein Bild das sein sollte.
Die Arbeit dauerte einige Monate und im Juni oder Juli 1934 war das Bild endlich vollendet. Schwester Faustina beklagte sich, dass das Bild nicht so schön sei, wie sie es sehe, aber Jesus beruhigte sie und sprach, dass es so, wie es sei, ausreiche, und fügte hinzu: Ich überreiche den Menschen ein Gefäß, mit dem sie zur Quelle der Barmherzigkeit um Gnaden kommen sollen. Das Gefäß ist dieses Bild mit der Unterschrift: Jesus, ich vertraue auf Dich. Vorläufig vermochte Schwester Faustina nicht zu erklären, was die Strahlen auf dem Bild bedeuteten. Nach einigen Tagen aber sagte sie, dass Jesus es ihr beim Gebet erklärt habe: Die zwei Strahlen bedeuten Blut und Wasser. Der blasse Strahl bedeutet Wasser, das die Seelen rechtfertigt, der rote Strahl bedeutet Blut, welches das Leben der Seelen ist … Diese zwei Strahlen drangen aus den Tiefen Meiner Barmherzigkeit, damals, als Mein sterbendes Herz am Kreuz mit der Lanze geöffnet wurde. Diese Strahlen schützen die Seelen vor dem Zorn Meines Vaters. Glücklich, wer in ihrem Schatten leben wird, denn der gerechte Arm Gottes wird ihn nicht erreichen. Ich verspreche, dass jede Seele, die dieses Bild verehrt, nicht verloren geht. Ich verspreche auch, hier schon auf Erden, den Sieg über Feinde, besonders in der Stunde des Todes. Ich selbst werde sie verteidigen, wie Meine Ehre. Ich wünsche, dass der erste Sonntag nach Ostern zum Fest der Barmherzigkeit wird. Jene Seele, die beichtet und die heilige Kommunion empfängt, erhält vollkommenen Nachlass der Schuld und der Strafen (…). Die Menschheit wird keinen Frieden finden, solange sie sich nicht zur Quelle Meiner Barmherzigkeit hinwendet. Noch bevor ich als gerechter Richter kommen werde, komme ich als König der Barmherzigkeit, damit sich niemand herausredet am Tag des Gerichts, der nicht mehr fern ist usw.
Dieses Bild war neuartig, was den Inhalt anbelangte, daher konnte ich es ohne die Genehmigung des Erzbischofs nicht in der Kirche aufhängen, und ich schämte mich, ihn darum zu bitten, geschweige denn, ihm über die Herkunft dieses Bildes zu erzählen. Deshalb brachte ich es in einem dunklen Korridor neben der Kirche St. Michael (im Bernhardinerinnen-Kloster) unter, dessen ich Rektor damals war. Schwester Faustina prophezeite die Schwierigkeiten, die sich mit dem Aufenthalt bei dieser Kirche verbinden würden, und tatsächlich kam es ziemlich rasch zu ungewöhnlichen Vorfällen. Schwester Faustina verlangte, dass das Bild um jeden Preis seinen Platz in einer Kirche finden sollte, aber ich hatte es nicht eilig. In der Karwoche 1935 schließlich erklärte sie mir, dass Jesus fordere, dieses Bild für drei Tage im Ostra Brama-Tor auszustellen, wo das Triduum zur Beendigung des Erlösungsjubiläums der Welt stattfinden werde, die am Tag des geplanten Festes, am Weißen Sonntag, sein solle. Alsbald erfuhr ich, dass jenes Triduum stattfinden würde, bei dem der Ostra Brama-Pfarrer, der Kanonikus Stanisław Zawadzki, mich eine Predigt zu halten bat. Ich erklärte mich einverstanden, unter der Bedingung, dass man jenes Bild als Dekoration im Fenster des Kreuzgangs aufhängen würde, wo es imponierend aussah und mehr Aufmerksamkeit auf sich zog als das Bild der Muttergottes.
Nach dem Gottesdienst wurde das Bild [des Barmherzigen Jesus] wieder an der alten Stelle im Verborgenen aufgehängt und blieb dort noch zwei Jahre. Erst am 1. April 1937 bat ich Seine Exzellenz, den Erzbischof und Metropoliten von Wilna, um die Aufhängung dieses Bildes in der Kirche St. Michael, deren Rektor ich damals war. Seine Exzellenz, der Erzbischof und Metropolit, sagte, dass er darüber nicht allein entscheiden wolle und eine Kommission damit beauftragen werde, das Bild zu besichtigen. Diese werde von Priester Kanonikus Adam Sawicki, dem Kanzler der Metropolitalkurie, zusammengestellt. Der Kanzler ließ das Bild am 2. April [1937] in der Sakristei der Kirche St. Michael ausstellen, weil er nicht wusste, wann dessen Besichtigung erfolgen würde. Da ich mit der Arbeit im Priesterseminar und an der Universität beschäftigt war, war ich bei der Besichtigung des Bildes nicht zugegen und weiß nicht, in welcher Zusammensetzung sich jene Kommission befand. Am 3. April 1937 benachrichtigte mich Seine Exzellenz, der Erzbischof und Metropolit von Wilna, dass er schon genügend Informationen über dieses Bild habe und die Genehmigung erteile, es zu weihen und in der Kirche aufzuhängen, mit dem Vorbehalt, es nicht im Altar aufzuhängen und niemandem von seiner Herkunft zu erzählen. Das Bild wurde am selben Tag geweiht und neben dem Hochaltar auf der Seite des Lektionars aufgehängt, von wo es einige Male in die (frühere Bernhardiner-) Pfarrei St. Franziskus zur Fronleichnamsprozession auf vorbereitete Altäre geholt wurde. Am 28. Dezember 1940 brachten es die Bernhardinerinnen an einen anderen Ort, wobei das Bild leicht beschädigt wurde, im Jahre 1942 jedoch, als sie von den deutschen Behörden verhaftet wurden, kehrte das Bild an seinen alten Platz neben dem Hochaltar zurück, wo es sich bis heute befindet und von den Gläubigen sehr verehrt und mit zahlreichen Votivgaben geschmückt wird.
Einige Tage nach dem Triduum im Ostra Brama-Tor erzählte mir Schwester Faustina ihre Erlebnisse während dieser Feierlichkeit, die in ihrem Tagebuch detailliert beschrieben sind. Danach sah sie am 12. Mai im Geist den sterbenden Marschall J. Piłsudski und erzählte von seinen schrecklichen Leiden. Jesus soll ihr dies gezeigt und gesagt haben: Sieh, wie die Größe dieser Welt endet. Sie sah dann das Gericht über ihn, und als ich fragte, womit es endete, antwortete sie: Es scheint, dass die Barmherzigkeit Gottes auf die Fürsprache der Muttergottes hin gesiegt hat. Kurz darauf begannen die von Schwester Faustina prophezeiten großen Schwierigkeiten (im Zusammenhang mit meinem Aufenthalt bei der Kirche St. Michael), die sich immer mehr vergrößerten, und schließlich, im Januar 1936, ihren Höhepunkt erreichten. Über diese Schwierigkeiten teilte ich fast niemandem etwas mit, bis ich an einem kritischen Tag Schwester Faustina um Gebet bat.
Zu meiner großen Verwunderung platzten noch am selben Tag alle Schwierigkeiten wie eine Seifenblase. Schwester Faustina aber erzählte, dass sie meine Leiden auf sich genommen und sie an diesem Tage so zahlreich wie nie in ihrem Leben verspürt habe. Als sie dann in der Kapelle Jesus um Hilfe bat, hörte sie die Worte: Du hast dich selbst angeboten, für ihn zu leiden, und jetzt schreckst du zurück? Ich habe dich nur einen Teil seiner Leiden spüren lassen. Hier erzählte sie mir ganz genau die Ursache meiner Schwierigkeiten, die ihr angeblich auf übernatürliche Weise mitgeteilt worden waren. Diese Genauigkeit war sehr frappant, umso mehr, als sie von den Einzelheiten in keiner Weise wissen konnte. Vorfälle dieser Art gab es einige.
Mitte April 1936 fuhr Schwester Faustina auf Anordnung der Generaloberin nach Walendów und dann nach Krakau, ich dagegen machte mir ernsthaft Gedanken über die Idee der Barmherzigkeit Gottes und begann bei den Kirchenvätern die Bestätigung dessen zu suchen, dass sie die größte Eigenschaft Gottes ist, wie Schwester Faustina sagte, denn bei den neueren Theologen hatte ich zu diesem Thema nichts gefunden. Zu meiner großen Freude stieß ich beim hl. Fulgentius und beim hl. Ildefons auf ähnliche Formulierungen, die meisten aber fand ich beim hl. Thomas und beim hl. Augustinus, der sich bei der Kommentierung der Psalmen des Langen über die Barmherzigkeit Gottes ausließ, wobei er sie als die größte Eigenschaft Gottes bezeichnete. Damals hatte ich keine ernsten Zweifel mehr in Bezug auf die Übernatürlichkeit der Erscheinungen der Schwester Faustina und begann von Zeit zu Zeit Artikel über die Barmherzigkeit Gottes in theologischen Zeitschriften zu veröffentlichen, in denen ich die Notwendigkeit eines Festes der Barmherzigkeit Gottes am 1. Sonntag nach Ostern verstandesmäßig und liturgisch begründete, und im Juni 1936 veröffentlichte ich in Wilna die erste Broschüre „Miłosierdzie Boże” [Die Barmherzigkeit Gottes] mit einem Bildchen des Barmherzigsten Christus auf dem Umschlag. Diese erste Veröffentlichung übersandte ich insbesondere allen Ihren Exzellenzen, den Bischöfen, die auf der Konferenz des Episkopats in Częstochowa versammelt waren, aber von keinem von ihnen erhielt ich eine Antwort. 1947 veröffentlichte ich in Poznań die zweite Broschüre unter dem Titel „Miłosierdzie Boże w liturgii” [Die Barmherzigkeit Gottes in der Liturgie], deren im Allgemeinen sehr geneigte Rezension ich einigen theologischen Zeitschriften fand. Ich veröffentlichte auch einige Artikel in Wilnaer Tageszeitungen, deckte aber niemals auf, dass Schwester Faustina diese „causa movens” war.
Im August 1937 besuchte ich Schwester Faustina in Łagiewniki und fand in ihrem Tagebuch die Novene über die Barmherzigkeit Gottes, die mir sehr gefiel. Auf die Frage, woher sie sie habe, sagte sie, dass ihr Jesus selbst dieses Gebet diktiert habe. Schon vorher hatte Jesus sie den Rosenkranz an dieselbe Barmherzigkeit und andere Gebete gelehrt, die ich zu veröffentlichen beschloss. Auf der Grundlage mancher, in den Gebeten enthaltener Formulierungen stellte ich die Litanei über die Barmherzigkeit Gottes zusammen, die ich zusammen mit dem Rosenkranz und der Novene Hrn. Cebulski gab (Krakau, Szewska-Straße 22), um in der Krakauer Kurie das „Imprimatur” zu erlangen und um sie mit dem Bildchen der Barmherzigkeit Gottes auf dem Umschlag drucken zu lassen. Die Krakauer Kurie erteilte das „Imprimatur” für N 671, und im Oktober erschien jene Novene mit dem Rosenkranz und der Litanei in den Regalen der Buchhandlungen. Im Jahr 1939 brachte ich eine gewisse Anzahl dieser Bildchen und Novenen nach Wilna, und nach dem Ausbruch des 2. Weltkrieges und dem Einmarsch der sowjetischen Armee (19. September 1939) bat ich S. E., den Erzbischof und Metropoliten von Wilna, um die Erlaubnis, sie mit der Information über die Herkunft des Bildes auf diesen Rosenkränzen verteilen zu dürfen, wofür ich das mündliche Einverständnis erlangte. Damals begann ich den privaten Kult dieses Bildes und die von Schwester Faustina zusammengestellten und in Krakau genehmigten Gebete zu verbreiten. Nachdem die Krakauer Auflage vergriffen war, war ich gezwungen, jene Gebete auf der Maschine zu vervielfältigen, und weil ich angesichts des großen Bedarfs nicht nachkommen kon- nte, bat ich die Wilnaer Metropolitalkurie um die Erlaubnis eines Nachdrucks. Bei dieser Gelegenheit sollten auf der ersten Seite Erläuterungen über den Inhalt des Bildes hinzugefügt werden. Ich erhielt diese Erlaubnis mit der Unterschrift des Zensors, Prälat Zebrowski Leon, vom 6. Februar 1940 und S. E., des Suffraganbischofs Kazimierz Michalkiewicz, und des Notars der Kurie, Priester J. Ostrejka, vom 7. Februar 1940 für Nr. 35.
Noch in Wilna erzählte Schwester Faustina, dass sie ein Drängen spüre, aus der Kongregation der Muttergottes der Barmherzigkeit auszutreten, um eine neue Ordenskongregation zu gründen. Ich betrachtete dieses Drängen als Versuchung und riet, es nicht ernst zu nehmen. Später, in ihren Briefen aus Krakau, schrieb sie weiter von diesem Drängen und schließlich erlangte sie von ihrem neuen Beichtvater und der Generaloberin die Erlaubnis auszutreten, unter der Bedingung, dass ich zustimmen würde. Ich hatte Angst, dies auf meine Verantwortung zu nehmen und antwortete, dass ich nur dann zustimmen werde, wenn der Krakauer Beichtvater und die Generaloberin ihren Austritt nicht nur erlauben, sondern anordnen würden. Eine solche Anordnung erlangte Schwester Faustina nicht, und deshalb beruhigte sie sich und blieb ihrer Kongregation bis zum Tode treu.
Im Jahre 1938 kam ich Mitte September 1938 zu einem Kongress der Theologischen Abteilungen nach Krakau und fand Schwester Faustina im Krankenhaus für Infektionskrankheiten in Prądnik, wo sie bereits das Sakrament der Krankensalbung erhalten hatte. Ich besuchte sie im Laufe der Woche und sprach mit ihr unter anderem über die Kongregation, die sie gründen wollte, und jetzt sterbe sie, wobei ich sie darauf aufmerksam machte, dass es eine Täuschung war, wie vielleicht auch alle anderen Dinge, über die sie gesprochen hatte, eine Täuschung waren. Schwester Faustina versprach, darüber mit Jesus im Gebet zu sprechen. Am nächsten Tag hielt ich eine heilige Messe für Schwester Faustina, während der mir der Gedanke kam, dass so, wie sie nicht imstande gewesen war, dieses Bild zu malen, und es nur gezeigt hatte, sie auch nicht imstande gewesen wäre, eine neue Kongregation zu gründen und nur die Rahmenbedingungen gab; das Drängen aber bedeutete die Notwendigkeit in der herannahenden Zeit dieser neuen Kongregation. Als ich hernach ins Krankenhaus kam und fragte, was sie in dieser Sache zu sagen habe, antwortete sie, dass sie nichts sagen müsse, denn Jesus habe mich während der heiligen Messe bereits erleuchtet. Danach fügte sie hinzu, dass ich mich hauptsächlich um das Fest der Barmherzigkeit am 1. Sonntag nach Ostern bemühen solle, um die neue Kongregation solle ich mich nicht allzu sehr kümmern und dass ich an bestimmten Zeichen erkennen werde, wer in dieser Sache was tun sollte; dass es in der Predigt, die ich an diesem Tag im Radio gehalten hatte, keine ganze reine Motivation gehabt habe (es war tatsächlich so), dass ich mich hauptsächlich darum in dieser Sache bemühen solle; dass sie sehe, wie ich in einer kleinen hölzernen Kapelle nachts die Gelübde von den ersten sechs Kandidatinnen dieser Kongregation annehme; dass sie in Kürze sterben werde und das alles, was sie zu sagen und schreiben gehabt habe, bereits erledigt sei. Davor hatte sie mir noch das Aussehen der Kirche und des Hauses der ersten Kongregation beschrieben und das Schicksal Polens bedauert, das sie sehr liebte und für das sie oft betete.
Dem Rat des hl. Johannes vom Kreuz folgend behandelte ich die Erzählungen der Schwester Faustina fast immer gleichgültig und fragte nicht nach Einzelheiten. Auch in diesem Falle fragte ich nicht, welches Schicksal Polen treffen werde, dass sie so großes Bedauern äußerte. Sie selbst sagte mir dies nicht, bedeckte nur seufzend ihr Gesicht, entsetzt über das Bild, das sie vermutlich damals sah. Fast alles, was sie in der Angelegenheit dieser Kongregation prophezeit hatte, hat sich allergenauestens erfüllt. Und als ich in Wilna, am 16. November 1944, nachts die privaten Gelübde der ersten Kandidatinnen in der hölzernen Kapelle der Karmeliterinnen annahm oder als ich drei Jahre später in das erste Haus dieser Kongregation in Myśliborz kam, war ich erstaunt über die frappante Ähnlichkeit dessen, was mir Schwester Faustina sel. Angedenkens gesagt hatte. Sie hatte auch ziemlich detailliert die Schwierigkeiten und Verfolgungen angekündigt, denen ich im Zusammenhang mit der Verbreitung des Kultes der Barmherzigkeit Gottes und der Bemühung um die Einsetzung eines Festes dieses Namens am Weißen Sonntag ausgesetzt sein würde (es war leichter, dies alles in der Überzeugung zu ertragen, dass dies von Anfang an der Wille Gottes in dieser ganzen Angelegenheit war). Sie kündigte mir am 26. September ihren Tod an, dass sie in 10 Tagen sterben werde, und am 5. Oktober starb sie. Aus Zeitmangel konnte ich nicht zu ihrem Begräbnis fahren.
Was ist von Schwester Faustina und ihren Offenbarungen zu halten? Im Hinblick auf ihre natürliche Veranlagung war sie völlig ausgeglichen ohne die geringste Psychoneurose oder Hysterie. Ihr Umgang sowohl mit den Schwestern in der Kongregation als auch mit Fremden war von Natürlichkeit und Einfachheit gekennzeichnet. Es gab nichts Künstliches und Theatralisches in ihr, keine Affektiertheit oder Lust, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Im Gegenteil, sie bemühte sich, sich in nichts von anderen zu unterscheiden, und von ihren inneren Erlebnissen erzählte sie niemandem außer ihrem Beichtvater und den Vorgesetzten. Ihr Gefühlsleben war normal, vom Willen gebändigt, und zeigte sich nicht leicht in wechselnden Stimmungen und Gemütsbewegungen. Sie wurde nicht von einer psychischen Depression oder von Aufregung bei Misserfolgen beeinflusst, die sie ruhig ertrug, mit Ergebung in den Willen Gottes.
In geistiger Hinsicht war sie besonnen und zeichnete sich durch einen gesunden Menschenverstand aus, obwohl sie fast keinerlei Ausbildung hatte: sie war gerade einmal im Stande, mit Fehlern zu schreiben und zu lesen. Sie erteilte ihren Mitgenossinnen treffende Ratschläge, wenn diese sich an sie wandten, und einige Male gab ich ihr selbst zur Probe gewisse Zweifel ein, die sie sehr treffend löste. Ihre Phantasie war reich, aber nicht exaltiert. Oft konnte sie selbst die Tätigkeit ihrer Phantasie nicht von der Tätigkeit des übernatürlichen Handelns unterscheiden, insbesondere, wenn es um Erinnerungen aus der Vergangenheit ging. Als ich sie jedoch darauf aufmerksam machte und sie im Tagebuch nur das unterstreichen ließ, von dem sie schwören konnte, dass es bestimmt kein Gebilde ihrer Phantasie sei, ließ sie ziemlich viel von ihren früheren Erinnerungen weg.
In moralischer Hinsicht war sie völlig aufrichtig und ohne die geringste Übertreibung und den Hauch einer Lüge. Sie sagte stets die Wahrheit, obwohl ihr dies manchmal Verdruss bereitete. Im Sommer 1934 war ich einige Wochen nicht zugegen, aber Schwester Faustina vertraute ihre Erlebnisse keinem anderen Beichtvater an. Nach der Rückkehr erfuhr ich, dass sie unter folgenden Umständen ihr Tagebuch verbrannt hatte. Angeblich war ihr ein Engel erschienen und hatte ihr befohlen, es in den Ofen zu werfen, wobei er sagte: Du schreibst Dummheiten und bereitest nur dir selbst und anderen großen Verdruss. Was hast du von dieser Barmherzigkeit? Wozu verlierst du Zeit mit dem Schreiben irgendwelcher Wahnvorstellungen. Verbrenne all dies, und du wirst ruhiger und glücklicher! usw. Schwester Faustina hatte niemanden, mit dem sie sich hätte beraten können und als die Erscheinung sich wiederholte, führte sie die Anweisung des angeblichen Engels aus. Danach, als ihr klar wurde, dass sie sich falsch verhalten hatte, erzählte sie mir alles und führte die Anweisung, alles neu zu schreiben, aus.
Im Hinblick auf die übernatürlichen Tugenden machte sie einen deutlichen Fortschritt. Zwar sah ich von Anfang an bei ihr die befestigten und erprobten Tugenden der Keuschheit, der Demut, der Inbrust, des Gehorsams, der Armut und der Liebe Gottes und des Nächsten, aber man konnte leicht ihr allmähliches Wachsen konstatieren, insbesondere am Ende ihres Leben die Vergrößerung der Liebe Gottes, die sie in ihren Gedichten offenbarte. Heute entsinne ich mich nicht genau ihres Inhalts, aber im Allgemeinen erinnere ich mich an meine Begeisterung in Bezug auf den Inhalt (nicht in Bezug auf die Form), als ich sie im Jahre 1938 las.
Einmal sah ich Schwester Faustina in Ekstase. Es war der 2. September 1938, als ich sie im Krankenaus in Prądnik besuchte und mich von ihr verabschiedete, um nach Wilna abzureisen. Nach etwa 50 m erinnerte ich mich, dass ich ihr einige Dutzend Exemplare der in Krakau veröffentlichten Gebete über die Barmherzigkeit Gottes, die sie zusammengestellt hatte (Novene, Litanei, Rosenkranz), mitgebracht hatte. Ich kehrte sofort zurück, um sie zu überreichen. Als ich die Tür des Krankenzimmers öffnete, in dem sie sich befand, sah ich Schwester Faustina in sitzender Haltung ins Gebet versunken, wobei sie fast über dem Bett zu schweben schien. Ihr Blick war auf einen unsichtbaren Gegenstand geheftet, die Pupillen etwas erweitert, einstweilen schenkte sie meinem Eintreten keine Beachtung, ich aber wollte sie nicht stören und beabsichtigte, mich zurückzuziehen; nach kurzer Zeit kam sie jedoch zu sich, bemerkte mich und bat um Verzeihung, dass sie mein Klopfen an der Tür nicht gehört habe. Ich händigte ihr jene Gebete aus und verabschiedete mich, sie aber sagte: „Auf Wiedersehen im Himmel.” Als ich sie dann am 26. September zum letzten Mal in Łagiewniki besuchte, wollte sie nicht mehr mit mir sprechen, vielleicht konnte sie es auch nicht mehr, denn sie sagte: „Ich bin mit dem Umgang mit dem himmlischen Vater beschäftigt.” Sie machte in der Tat den Eindruck eines überirdischen Wesens. Damals hatte ich nicht mehr den geringsten Zweifel, dass das, was in ihrem Tagebuch über die heilige Kommunion steht, die im Krankenhaus durch einen Engel gespendet wurde, der Wirklichkeit entspricht.
Was den Gegenstand der Offenbarungen der Schwester Faustina anbelangt, gibt es nichts daran, was dem Glauben oder den guten Sitten entgegenstünde oder strittige Auffassungen unter den Theologen beträfe. Im Gegenteil, alles zielt auf eine bessere Erkenntnis und Liebe Gottes. Das Bild ist künstlerisch ausgeführt und stellt eine wertvolle Errungenschaft in der zeitgenössischen religiösen Kunst dar (Protokoll der Kommission in Sachen der Beurteilung und Konservierung des Bildes des Barmherzigsten Erlösers in der Kirche St. Michael vom 27.05.1941, unterschrieben von den Sachverständigen: Prof. der Kunstgeschichte Dr. M. Morelowski, Prof. der Dogmatik Dr. L. Puciata und Konservator Dr. P. Śledziewski). Der private Kult der Barmherzigkeit Gottes (in Form der Novene, des Rosenkranzes und der Litanei) und der öffentliche Kult (in Form eines geplanten Feiertags) widerspricht nicht nur in keiner Weise den Dogmen und der Liturgie, sondern zielt auf die Erhellung der Wahrheiten des heiligen Glaubens und die anschauliche Darstellung dessen, was bisher in der Liturgie nur im Ansatz vorhanden war, auf die Hervorhebung und Darstellung für die ganze Welt, worüber die Kirchenväter ausführlich schrieben, was der Autor der Liturgie im Sinn hatte und was die große menschliche Not heutzutage erfordert. Die Intuition dieser einfachen Ordensfrau, die kaum den Katechismus konnte, in so subtilen, so treffenden und der Psychologie der heutigen Gesellschaft entsprechenden Dingen lässt sich nicht anders erklären als durch übernatürliches Handeln und Erleuchtung. So mancher Theologe wäre nach einem langen Studium nicht im Stande, Schwierigkeiten auch nur annäherungsweise so treffend und leicht zu lösen, wie es Schwester Faustina tat.
Zwar kam zum übernatürlichen Wirken in der Seele der Schwester Faustina mehrfach das Wirken ihrer menschlichen, ziemlich lebendigen Phantasie dazu, was zur Folge hatte, dass bestimmte Dinge von ihr unbewusst ein wenig verdreht wurden. Aber das geschah bei allen Menschen dieser Art, was deren Lebensläufe bezeugen, man denke nur an die hl. Brigitta, Katharina Emmerich, Maria de Agreda, Jeanne d”Arc u. v. a. Damit lässt sich die fehlende Übereinstimmung der Beschreibung der Schwester Faustina über ihre Aufnahme ins Kloster mit den Aussagen der hochwürdigen Generaloberin Michaela Moraczewska erklären, und vielleicht auch noch ähnliche Formulierungen in ihrem Tagebuch. Im Übrigen sind dies alte Begebenheiten, die beide Seiten vergessen oder etwas verändert haben konnten, Begebenheiten, die nicht zum Wesen der Dinge gehören.
Die Folgen der Offenbarungen der Schwester Faustina sowohl in ihrer Seele als auch in den Seelen anderer Menschen übersteigen alle Erwartungen. Insoweit Schwester Faustina anfangs etwas verzagt war, sich vor der Möglichkeit der Ausführung der Anweisungen fürchtete und sich ihnen entzog, so beruhigte sie sich allmählich und gelangte zu einem Zustand völliger Sicherheit, Gewissheit und einer tiefen inneren Freude. Sie wurde immer demütiger und gehorsamer, immer mehr mit Gott vereint und immer geduldiger, indem sie völlig und in allem mit Seinem Willen übereinstimmte. Man muss sich wohl nicht über die Folgen dieser Offenbarungen in den Seelen anderer Menschen auslassen, die von diesen Offenbarungen erfuhren, weil die Tatsachen am besten für sich sprechen. Zahlreiche Votivgaben (etwa 150) beim Bildes des Barmherzigsten Erlösers in Wilna und in vielen anderen Städten, zeugen zur Genüge von den Gnaden, die den Verehrern der Barmherzigkeit Gottes im Inund Ausland zuteil wurden. Von allen Seiten kommen Nachrichten über wundersame Erhörungen der Barmherzigkeit Gottes, die mitunter eindeutig als Wunder zu betrachten sind.
Das oben Gesagte zusammenfassend kann man sagen, dass wir leicht einen Schluss daraus ziehen könnten, aber weil die letzte Entscheidung in dieser Sache von der unfehlbaren Institution in der Kirche abhängt, ordnen wir uns ihr mit aller Fügsamkeit unter und warten ganz ruhig auf das Urteil.
Prof. Michał Sopoćko
Białystok, 27. Januar 1948
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Veröffentlichung in:
„Botschaft der Barmherzigkeit“ Nr. 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40
Übersetzt von Sabine Lipinska