Die Apostolische Bewegung der Barmherzigkeit Gottes begann sich noch zu Lebzeiten der hl. Schwester Faustina zu entwickeln, in dem Maße, wie sich die Andacht zur Barmherzigkeit Gottes in den durch sie übermittelten Formen verbreitete. Im Jahre 1937 gab Prof. Michał Sopoćko in Krakau Bildchen mit dem Rosenkranz zur Barmherzigkeit Gottes und ein kleines Büchlein mit Gebeten zur Barmherzigkeit Gottes unter dem Titel „Chrystus, Król Miłosierdzia [Christus, König der Barmherzigkeit]“ heraus. Die Schwestern aus der Kongregation der Muttergottes der Barmherzigkeit, die sie erhielten, und alle, zu denen sie gelangten und die diese Gebete sprachen, verwirklichten schon die Aufgabe, die Barmherzigkeit Gottes für die Welt zu erbitten, und bildeten auf diese Weise die ersten Menschenscharen in der Apostolischen Bewegung der Barmherzigkeit Gottes.
Die dynamische Entwicklung der Andacht zur Barmherzigkeit Gottes und damit der Apostolischen Bewegung der Barmherzigkeit Gottes fällt in die Jahre des 2. Weltkriegs und in die Nachkriegsperiode. In dieser schwierigen Zeit suchten die Menschen Hoffnung, Licht und Kraft in der Barmherzigkeit Gottes, deshalb erfreuten sich die Bildchen des Barmherzigen Jesus sowie der Rosenkranz und die von Schwester Faustina diktierte Novene großer Beliebtheit. Die Scharen der Verehrer der Barmherzigkeit Gottes wuchsen, es entstanden neue Gemeinschaften, Apostolate und Zentren, die die Aufgabe übernahmen, die Ehre der Barmherzigkeit Gottes zu verbreiten.
Dieser lebendige Prozess wurde gebremst, nachdem der Heilige Stuhl im Jahre 1959 eine Notifikation herausgegeben hatte, die die Verbreitung des Kultes der Barmherzigkeit Gottes in den durch Schwester Faustina übermittelten Formen verbot. Damals stellten die Kongregation der Schwestern der Muttergottes der Barmherzigkeit, aber auch die Priester des Marianen-Ordens in den USA und andere Zentren, den Anordnungen der Notifikation Folge leistend, die Verbreitung des Lebens und der Sendung der Schwester Faustina ein, darunter auch der Kultformen, die durch sie übermittelt worden waren. Diese Periode (19 Jahre), die im Übrigen von Schwester Faustina angekündigt worden war, bedeutete jedoch keine verlorene Zeit, weil in ihr der Diözesanprozess über das Leben und die Tugenden der Schwester Faustina durchgeführt wurde und der Theologieprofessor I. Różycki eine gründliche Analyse der Schriften der Apostelin der Barmherzigkeit Gottes vornahm, wobei er das theologische Fundament für die Andacht zur Barmherzigkeit Gottes in den durch Schwester Faustina übermittelten Formen legte. Die Pallottinerkongregation organisierte ein theologisches Symposium, das dem Geheimnis der Barmherzigkeit Gottes und der Sendung der Schwester Faustina gewidmet war und Buchveröffentlichungen hervorbrachte.
Der nächste Entwicklungsabschnitt der Apostolischen Bewegung der Barmherzigkeit Gottes begann mit der Widerrufung der Notifikation des Heiligen Stuhls im April 1978 und dauert bis heute an. Anteil an dieser Entwicklung haben alte und neue Ordenskongregationen, verschiedene Bruderschaften, Vereine, Apostolate, Gemeinschaften und Einzelpersonen, die die Aufgabe übernehmen, der Welt die Botschaft der Barmherzigkeit zu verkünden durch das Zeugnis des Lebens im Geiste des Vertrauens gegenüber Gott und der Barmherzigkeit gegenüber den Nächsten, durch Werke der Barmherzigkeit, durch Wort und Gebet. Einen ungeheuren Einfluss auf die Entwicklung dieser Bewegung hatten die Seligund Heiligsprechung der Schwester Faustina, aber auch die Lehre des Heiligen Vaters Johannes Pauls II. (u. a. die Enzyklika „Dives in misericordia“) und seine Reisen zum Heiligtum der Barmherzigkeit Gottes in Krakau-Łagiewniki. Heute umfasst die Apostolische Bewegung der Barmherzigkeit Gottes Millionen von Menschen auf der ganzen Welt, die auf unterschiedliche Weise die Sendung der hl. Schwester Faustina fortsetzen.
Die „neue Kongregation“, also die Apostolische Bewegung der Barmherzigkeit Gottes begann sich noch zu Lebzeiten der Schwester Faustina zu entwickeln, obwohl sie sich nicht darüber im Klaren war, dass das Werk, um das Jesus sie bat, bereits in der Verwirklichung begriffen war. Seine allmähliche Entwicklung begann mit dem Praktizieren der Andacht zur Barmherzigkeit Gottes in den durch sie übermittelten Formen. Prof. Michał Sopoćko gab nämlich Bildchen des Barmherzigen Jesus mit dem Rosenkranz zur Barmherzigkeit Gottes heraus und auch ein kleines Büchlein mit Gebeten, das den Titel „Chrystus, Król Miłosierdzia [Christus, König der Barmherzigkeit]“ trug. Die Personen, die voller Vertrauen den dort abgedruckten Rosenkranz zur Barmherzigkeit Gottes, die Novene oder die Litanei beteten, die von Prof. Sopoćko aufgrund der im „Tagebuch“ der Schwester Faustina notierten Gebetsanrufungen notiert worden war, hatten bereits zumindest eine Aufgabe der Apostolischen Bewegung der Barmherzigkeit Gottes verwirklicht, nämlich das Erbitten der Barmherzigkeit Gottes für die Welt. Unsere Kongregation hat ziemlich viele gekauft – schrieb Schwester Faustina in einem Brief an Prof. Michał Sopoćko – Mutter Irena verbreitet diese Bildchen und Büchlein. Wir haben gesagt, dass wir sie sogar bei der Pforte verteilen werden. Einem der Jesuitenpater, der zu Missionspredigten durch ganz Polen reist, hat sie sogar fünfzig Büchlein gegeben. Ferner informierte Schwester Faustina ihren Beichtvater, dass diese Büchlein auch die Schwestern in ihrer Kongregation bekommen hatten, mit Ausnahme des Krakauer Hauses, in dem sie sich selbst aufhielt, um bezüglich ihrer Offen- barungen besser Diskretion bewahren zu können. Auf Wunsch von Jesus (TB 1070) fand im Krakauer Kloster im Jahre 1937 am ersten Sonntag nach Ostern eine Anbetung zum Erbitten von Barmherzigkeit Gottes für die Welt statt, nach der Schwester Faustina die Worte vernahm: Mein Herz hat heute in diesem Kloster Rast gefunden (TB 1074). So begann Schwester Faustina zuerst mit ihren Mitschwestern, dann mit weltlichen Personen, die die Andacht zur Barmherzigkeit Gottes praktizierten, die Aufgabe zu erfüllen, die Barmherzigkeit Gottes zu verkünden und für die Welt zu erbitten.
In Wilna hingegen begann Prof. Sopoćko, von den Offenbarungen seiner Pönitentin inspiriert, das Geheimnis der Barmherzigkeit Gottes zu vertiefen, was in Form von Artikeln und Büchern Früchte trug. Dort versuchte er den Kult der Barmherzigkeit Gottes in der kirchlichen Liturgie zu zeigen, aber auch die Notwendigkeit der Einführung eines eigenen Festes der Barmherzigkeit, um die Aufmerksamkeit der Gläubigen auf dieses „größte Attribut Gottes“ zu lenken. So also begann sich noch zu Lebzeiten der Schwester Faustina die Idee der Apostolischen Bewegung der Barmherzigkeit Gottes langsam in ihrer Mutterkongregation und außerhalb von ihr zu entwickeln, hauptsächlich dank der Bemühungen von Prof. M. Sopoćko und der Oberin des Krakauer Klosters der Kongregation der Muttergottes der Barmherzigkeit, Mutter Irena Krzyżanowska.
Eine dynamische Entwicklung der Apostolischen Bewegung der Barmherzigkeit Gottes fällt in die Jahre des 2. Weltkrieges, als Flüchtlinge und Soldaten die hoffnungsfrohe Botschaft der Barmherzigkeit Gottes, die durch Schwester Faustina übermittelt worden war und deren sichtbares Zeichen das Bild des Barmherzigen Jesus war, in der ganzen Welt ver- breiteten. Wilna war weiterhin ein dynamisches Zentrum der Entwicklung dieses Kultes. Dort verehrten die Gläubigen als Erste das Bild des Barmherzigen Jesus in der St. Michael-Kirche. Prof. Sopoćko offenbarte die Initiatorin der Andacht zur Barmherzigkeit Gottes, Schwester Faustina, und tat selbst alles, was in seiner Macht stand, um diese zu verbreiten.
In den Gemeinschaften der Kongregation der Schwestern der Mutter- gottes der Barmherzigkeit wurde der Rosenkranz zur Barmherzigkeit Gottes gebetet, die Novene vor dem Fest der Barmherzigkeit abgehalten und in den Kapellen wurden Bilder des Barmherzigen Jesus aufgehängt. Die Generaloberin M. Michaela Moraczewska enthüllte die Sendung der Schwester Faustina. Im Jahre 1943 stiftete der Maler Adolf Hyła für die Krakauer Kapelle der Kongregation das Bild des Barmherzigen Jesus als Votivgabe für die Errettung der Familie aus den Kriegswirren, und der Krakauer Beichtvater der Schwester Faustina, P. Jozef Andrasz SI, initiierte die feierliche Andacht zu Ehren der Barmherzigkeit Gottes am dritten Sonntag eines Monats, zu der die Bewohner Krakaus und der Umgebung zahlreich herbeiströmten. Die Häuser der Kongregation wurden zu Zentren des Gebets um die Barmherzigkeit Gottes und der Verkündigung der Botschaft der Barmherzigkeit, die durch Schwester Faustina vermittelt worden war. Die Schwestern verteilten Bildchen mit dem Rosenkranz und kleine heilige Medaillen, sie verschickten sie auch mit Päckchen in die Konzentrationslager und Gefängnisse.
Zur Verbreitung der Andacht zur Barmherzigkeit Gottes in den durch Schwester Faustina übermittelten Formen trugen auch Flüchtlinge und die Soldaten der polnischen Streitkräfte bei, die 1941 in Russland aufgestellt worden waren und in kurzer Zeit viele Länder durchquerten und in den Iran, nach Palästina, Ägypten gelangten, und von dort aus an die Front in Afrika und Italien. In ihren Reihen praktizierten die Priester und Soldaten selbst die Andacht zur Barmherzigkeit Gottes in den durch Schwester Faustina übermittelten Formen, und sie verbreiteten sie auch durch das Verteilen von Bildchen und Büchlein mit Gebeten zur Barmherzigkeit Gottes, die speziell in der Felddruckerei in Jerusalem herausgegeben worden waren.
Schon während des 2. Weltkrieges entstand ein Zentrum der Verbreitung des Kultes der Barmherzigkeit in den USA. Der Marianenpriester Józef Jarzębowski, der auf fast wunderbare Weise aus Russland dorthin gelangt war, hatte die Denkschrift über die Andacht zur Barmherzigkeit Gottes zusammen mit dem Bildchen des Barmherzigen Jesus aus Wilna mitgebracht. In kurzer Zeit gaben die Felizianerinnen die Novene, die Litanei und den Rosenkranz zur Barmherzigkeit zusammen mit dem Bildchen des Barmherzigen Jesus und der Einleitung von Priester Józef Jarzębowski unter dem Titel „Ojciec miłosierdzia [Vater der Barmherzigkeit]“ heraus. Die Auflage war schnell erschöpft, und die Danksagungen für die empfangenen Gnaden und die Nachfrage nach einer Neuauflage des Büchleins bewirkten, dass die amerikanische Ordensprovinz der Marianen den Beschluss fasste, ein Apostolat der Barmherzigkeit Gottes in Stockbridge zu schaffen, das sich von da an mit der Propagierung der Sendung der Schwester Faustina befasste: durch die Veröffentlichung von Bildchen, Artikeln, Büchern und Broschüren in polnischer und englischer Sprache, aber auch durch die Unterstützung derartiger Initiativen in anderen Ländern. Auch die Rektoren der Polnischen Katholischen Mission in Polen (Priester Jacek Przygoda) und in Frankreich (Priester Franciszek Cegiełka) sowie Pater Skudrzyk SJ (in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Australien) popularisierten die Andacht zur Barmherzigkeit Gottes durch verschiedene Publikationen.
In vielen Kapellen und Kirchen in Polen und auf der ganzen Welt tauchten schon während des Krieges Bilder des Barmherzigen Jesus auf, vor denen die Menschen Gnaden für sich selbst und die Welt erbaten, indem sie zumeist den Rosenkranz zur Barmherzigkeit Gottes, die Novene oder die Litanei beteten. Dort, wo der Kult der Barmherzigkeit Gottes verbreitet wurde, verehrten die Gläubigen auch die Barmherzigkeit Gottes am ersten Sonntag nach Ostern in besonderer Weise, indem sie zahlreich die heiligen Sakramente empfingen. Die Jahre des grausamen Krieges begünstigten im Hinblick auf die schwierigen Lebensbedingungen und die große Bevölkerungsmigration paradoxerweise die Verkündigung und das Erbitten der Barmherzigkeit Gottes für die Welt, also die Übernahme der Aufgaben der Apostolischen Bewegung der Barmherzigkeit Gottes. In diesen Jahren wuchs die Zahl der Gläubigen, die sich für dieses Werk einsetzten, sehr rasch.
Auch die Nachkriegsjahre waren, bis zum Jahre 1959, eine Periode der dynamischen Entwicklung dieser Bewegung. Es entstanden weitere Zentren, die die Sendung der Schwester Faustina popularisierten, u. a. in England, Frankreich, Italien und dank der Bemühungen der Marianen in Stockbridge gelangten Materialien, die über die Barmherzigkeit Gottes in englischer Sprache veröffentlicht wurden, in viele Länder, u. a. nach Kanada, Australien, Neuseeland, Asien und Afrika. Die von ihnen in englischer Sprache veröffentlichten Gebete, Bildchen und das Büchlein „Miłosierdzie Boże, ufamy Tobie [Barmherzigkeit Gottes, wir vertrauen auf Dich]“ von Pater J. Andrasz wurden auch ins Spanische, Französische, Portugiesische und in andere Sprachen übersetzt. Die Andacht zur Barmherzigkeit Gottes wurde in vielen Ländern verbreitet, u. a. in Mexiko, Argentinien, Kolumbien, Ecuador, Chile, Uruguay, Peru, Guatemala, El Salvador, Spanien und Portugal, wo das populäre Büchlein „Barmherzigkeit Gottes, wir vertrauen auf Dich“ von P. Andrasz herausgegeben wurde.
Schon damals wurden die Bildchen des Barmherzigen Jesus nicht nur in polnischer, englischer, französischer, spanischer und italienischer Sprache herausgegeben, sondern auch in anderen europäischen Sprachen: auf Portugiesisch, Slowakisch, Ungarisch, Litauisch, Ukrainisch, Estnisch sowie in einigen Sprachen Indiens und der Philippinen sowie in afrikanischen Dialekten. In vielen Ländern verbreiteten nicht nur die Priester die Andacht zur Barmherzigkeit Gottes, sondern auch weltliche Personen, indem sie verlegerische Initiativen entfalteten, die Nachrichten und Materialien über die Barmherzigkeit Gottes verbreiteten und bei den Kirchen Gruppen der Verehrer Gottes schufen.
Neben den populären Gebetbüchlein, Broschüren und Büchern, die das Leben und die Sendung der Schwester Faustina behandelten, erschienen auch Werke, die den Kult der Barmherzigkeit Gottes von der theologischen Seite her vertieften. Gleich nach dem Krieg erschien das Buch „Tajemnica miłosierdzia Bożego [Das Geheimnis der Barmherzigkeit Gottes]“ von Pater Jacek Woroniecki OP, aber auch zahlreiche Publikationen von Prof. M. Sopoćko, u. a. „De misericordia Dei deque eiusdem festo instituendo (O Miłosierdziu Bożym i ustanowieniu Jego święta)“, „O święto Najmiłosierniejszego Zbawiciela [Über das Fest des Barmherzigsten Erlösers]“, „Poznajmy Boga w Jego miłosierdziu [Wir wollen Gott in Seiner Barmherzigkeit erkennen]“. Es erschienen auch theologische Bearbeitungen in englischer, französischer und italienischer Sprache.
Die spontane Entwicklung der Apostolischen Bewegung der Barmherzigkeit Gottes wurde im Jahre 1959 durch die Notifikation des Heiligen Stuhls gebremst, die die Verbreitung der Andacht zur Barmherzigkeit Gottes in den durch Schwester Faustina übermittelten Formen verbot und das Entfernen der Bilder des Barmherzigen Jesus aus den Kirchen der Umsicht der Seelsorger überließ. Die Ursache der Notifikation waren u. a. fehlerhafte Übersetzungen von Textabschnitten des „Tagebuchs“ der Schwester Faustina, aber auch die unrichtige Verbreitung und Praxis der Andacht zur Barmherzigkeit Gottes (z. B. die Interpretation der Strahlen auf dem Bild als die Nationalfarben Polens).
Die Notifikation wurde von der Kongregation der Schwestern der Muttergottes der Barmherzigkeit, aber auch von anderen Kultzentren der Barmherzigkeit Gottes, u. a. in Stockbridge, treu erfüllt. Man stellte damals die Verbreitung aller Materialien ein, die mit dem Leben und der Sendung der Schwester Faustina verbunden waren. Dies betraf Bücher, Bildchen, Gebetbüchlein, Broschüren, Flugblätter, kleine heilige Medaillen usw. Der Kult der Barmherzigkeit Gottes wurde jedoch von weltlichen Personen aufrechterhalten, die sich darum bemühten, dass die Bilder des Barmherzigen Jesus nicht aus den Kirchen entfernt wurden, die weiterhin den Rosenkranz und andere Gebete zur Barmherzigkeit Gottes verwendeten, und das nicht nur privat, sondern in den Gotteshäusern. Sie bemühten sich, die Barmherzigkeit durch Gebet und Taten der Barmherzigkeit zu preisen, was die Berichte der Pfarrgruppen der Verehrer der Barmherzigkeit Gottes bezeugen.
Die Periode der Notifikation, die 19 Jahre dauerte – und im Übrigen von Schwester Faustina angekündigt worden war – erwies sich als eine gesegnete Zeit, in der Prof. I. Różycki für die Bedürfnisse des Seligsprechungsprozesses, auf Anweisung des damaligen Krakauer Metropoliten, Kard. K. Wojtyła, eine gründliche theologische Analyse der Schriften der Schwester Faustina vornahm und ein starkes Fundament für die Andacht zur Barmherzigkeit Gottes in den durch Schwester Faustina übermittelten Formen schuf. Er zeigte das Wesen und die Formen dieser Andacht, die er unter den verschiedenen Gebeten, die im „Tagebuch“ notiert worden waren, unterschied, und zwar mit Hilfe des Kriteriums der Versprechen Jesu, die dieser mit ihrem Praktizieren verband.
Neue Kultformen sind diesem Kriterium zufolge das Bild des Barmherzigen Jesus mit der Unterschrift Jesus, ich vertraue auf Dich, das Fest der Barmherzigkeit am ersten Sonntag nach Ostern, der Rosenkranz zur Barmherzigkeit Gottes und das Gebet im Augenblick des Sterbens Jesu am Kreuz, auch Stunde der Barmherzigkeit genannt. An jede dieser Kultformen, ebenso wie an das Verbreiten der Ehre der Barmherzigkeit Gottes knüpfte Jesus große Versprechen unter der Bedingung, dass sie authentisch praktiziert werden, also im Geiste des Vertrauens gegenüber Gott und der Barmherzigkeit gegenüber den Nächsten. Das Wesen der Andacht zur Barmherzigkeit Gottes ist ja eine Haltung des Vertrauens gegenüber Gott, die in der Erfüllung Seines Willens zum Ausdruck kommt, und eine Haltung der Barmherzigkeit gegenüber den Nächsten, die durch Tat, Wort oder Gebet aus Liebe zu Jesus erwiesen wird.
Die Periode der Notifikation brachte auch weitere Untersuchungen polnischer Theologen, die dem Geheimnis der Barmherzigkeit Gottes sowie der Sendung der Schwester Faustina gewidmet waren und auf Symposien vorgestellt wurden, die von den Pallottinern in Ołtarzew und Częstochowa organisiert wurden. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen wurden in zwei Bänden unter dem Titel „Ewangelia Miłosierdzia [Das Evangelium der Barmherzigkeit]“ sowie „Bo Jego milosierdzie na wieki [Denn Seine Barmherzigkeit in Ewigkeit]“ veröffentlicht. Damals entstanden auch drei Bände des größten Werkes von Prof. Michal Sopoćko unter dem Titel „Miłosierdzie Boga w dziełach Jego [Barmherzigkeit in den Werken Gottes]“, in dem der Autor das Geheimnis der Barmherzigkeit Gottes im Schöpfungswerk, im Leben, Leiden und in der Auferstehung Christi sowie in der heiligen Kirche zeigt.
Nach der Widerrufung der Notifikation im Jahre 1978 begann der nächste Entwicklungsabschnitt der Apostolischen Bewegung der Barmherzigkeit Gottes, der begünstigt wurde durch die Herausgabe der Enzyklika „Dives in misiericordia“ von Johannes Paul II., die Seligund Heiligsprechung der Schwester Faustina, den Besuch des Heiligen Vaters im Heiligtum der Barmherzigkeit Gottes in Krakau-Łagiewniki sowie seine zahlreichen Aussagen, die von einem lebhaften Interesse an der Botschaft der Barmherzigkeit zeugen.
Zum Hauptzentrum der Apostolischen Bewegung der Barmherzigkeit Gottes, das eine immer größere Ausstrahlung auf die ganze Welt hat, wurde das Heiligtum der Barmherzigkeit Gottes in Krakau-Łagiewniki mit dem Gnadenbild des Barmherzigen Jesus und den Reliquien der hl. Schwester Faustina, die auf dem Altar darunter ruhen. Der Heilige Vater nannte diesen Ort Hauptstadt des Kultes der Barmherzigkeit Gottes (1985). Von hier nämlich ging die Botschaft der Barmherzigkeit Gottes aus, die Christus selbst durch die Vermittlung der seligen Schwester Faustina unserer Generation übermitteln wollte – sagte er während des Besuchs im Heiligtum in Łagiewniki am 7. Juni 1997.
In Polen und auf der ganzen Welt nahmen die alten Zentren des Kultes der Barmherzigkeit Gottes nach der Widerrufung der Notifikation ihre Tätigkeit wieder auf (u. a. die Klöster der Kongregation der Schwestern der Muttergottes der Barmherzigkeit, die Marianenpriester in den USA, die Pallottiner, die Herz Jesu-Schwestern). Es entstanden auch viele neue Kongregationen (u. a. die Eremiten der Barmherzigkeit in der Slowakei, die Dienerinnen der Barmherzigkeit Gottes, die Gemeinschaft der Brüder des Barmherzigen Jesus), Gemeinschaften, Bruderschaften, Apostolate und Pfarrgemeinschaften. Eine besondere Rolle in dieser Bewegung spielt, im Hinblick auf die Wirkungsreichweite und das Ausbildungsprogramm – der durch den Krakauer Metropoliten Franciszek Macharski im Heiligtum der Barmherzigkeit Gottes in Krakau-Łagiewniki errichtete (1996) Verein der Apostel der Barmherzigkeit Gottes Faustinum, der Priester, geweihte Personen und weltliche Laien aus der ganzen Welt zusammenschließt.
Von der dynamischen Entwicklung der Apostolischen Bewegung der Barmherzigkeit Gottes zeugen auch die theologischen Symposien und Kongresse in Krakau-Łagiewniki, in Rom und auf allen Kontinenten, aber auch die im Entstehen begriffenen Pfarreien und Heiligtümer der Barmherzigkeit Gottes. Es genügt zu erwähnen, dass zu Lebzeiten der Schwester Faustina in Polen keine einzige Pfarrkirche der Barmherzigkeit Gottes geweiht war, während es heute in Polen mehr als 200 Kirchen gibt, die der Barmherzigkeit Gottes, dem Barmherzigen Jesus oder der hl. Schwester Faustina geweiht sind, darunter 20 Diözensanheiligtümer. Ein ähnlicher, wenn auch nicht ganz so dynamischer Prozess, findet in anderen Ländern statt. Die sehr zahlreichen Veröffentlichungen über die hl. Schwester Faustina und die Botschaft der Barmherzigkeit, immer neue Übersetzungen des „Tagebuchs“ und die riesigen Auflagen dieses Werks in vielen Sprachen, Informationen in den Medien, im Internet, aber auch, und vielleicht vor allem, die persönliche Erfahrung der erbarmenden Liebe Gottes bewirkt, dass die Scharen von Menschen, die vom Geheimnis der Barmherzigkeit Gottes fasziniert sind und in diesem Geist ihr Leben gestalten und die Gabe der Barmherzigkeit Gottes mit anderen teilen wollen, von Jahr zu Jahr wächst. Dazu ermunterte der Heilige Vater Johannes Paul II. viele Mal. Bevor er im Heiligtum in Krakau-Łagiewniki die Welt der Barmherzigkeit Gottes anvertraute, sagte er, dass er wünsche, dass die Botschaft von der erbarmenden Liebe Gottes, die hier durch Schwester Faustina verkündet wurde, alle Menschen der Welt erreichen und ihre Herzen mit Hoffnung erfüllen möge. Jene Botschaft möge, von diesem Ort ausgehend, überall in unserer geliebten Heimat und in der Welt Verbreitung finden. Möge sich die Verheißung des Herrn Jesus Christus erfüllen: Von hier wird „ein Funke hervorgehen, der die Welt auf mein endgültiges Kommen vorbereitet“ (vgl. TB 1732). Diesen Funken der Gnade Gottes müssen wir entfachen und dieses Feuer des Erbarmens an die Welt weitergeben. Im Erbarmen Gottes wird die Welt Frieden und der Mensch Glückseligkeit finden. Euch, lieben Brüdern und Schwestern, der Kirche in Krakau und Polen und allen, die die Barmherzigkeit Gottes verehren und aus Polen und der ganzen Welt diesen Ort aufsuchen, vertraue ich diese Aufgabe an. Seid Zeugen der Barm- herzigkeit!
Insofern sich der erste Entwicklungsabschnitt der Apostolischen Bewegung der Barmherzigkeit Gottes (bis zum Jahre 1959) durch Spontaneität und das Fehlen formaler Organisationsstrukturen unter den Verehrern der Barmherzigkeit Gottes kennzeichnete, kann man im zweiten Abschnitt – nach der Widerrufung der Notifikation des Heiligen Stuhls im Jahre 1978 – eine deutliche Tendenz zur Schaffung bestimmter Strukturen beobachten, wovon die entstandenen Vereine, Bruderschaften, verschiedene Apostolate oder Pfarrgruppen der Verehrer der Barmherzigkeit Gottes zeugen, die die Billigung der Kirchenobrigkeit hatten. Dieser Entwicklungsabschnitt zeichnet sich durch eine vertiefte theologische Reflexion in Bezug auf den Kult der Barmherzigkeit Gottes und die Sendung der Schwester Faustina aus, darunter auch auf die Identität der Apostolischen Bewegung der Barmherzigkeit Gottes, die aus ihrem Charisma und ihrer mystischen Erfahrung entstand. In diesem Entwicklungsabschnitt der Bewegung ist auch das brennende Verlangen nach einer Ausbildung im Geiste der Barmherzigkeit sichtbar. Heute genügt vielen Aposteln der Barmherzigkeit Gottes das Beten des Rosenkranzes nicht, ja nicht einmal das Praktizieren aller Kultformen, die durch die hl. Schwester Faustina übermittelt wurden, es genügt ihnen auch nicht die apostolische Aktivität in den Werken der Barmherzigkeit und beim Verkünden der Botschaft der Barmherzigkeit, sie haben vielmehr den Wunsch einer vertieften Ausbildung, um ihr geistiges Leben zu vervollkommnen und die apostolischen Aufgaben, die sich aus der Sendung der Schwester Faustina ergeben, fruchtbringend zu erfüllen.
Überall dort, wo man die Andacht zur Barmherzigkeit Gottes praktiziert, werden in verschiedenem Umfang Aufgaben der Bewegung der Barmherzigkeit Gottes übernommen. Heute besteht diese Bewegung aus Millionen von Menschen verschiedener Berufungen. Ihr gehören Personen an, die in päpstlicher Klausur leben, in tätigen Frauen- und Männerkongregationen oder in Säkularinstituten, aber auch Diözesanpriester, Einsiedler und weltliche Personen.
Im Text wurde ein Abschnitt aus folgendem Referat genutzt: Sr. M. Elżbieta Siepak ISMM: Apostolski Ruch Bożego Miłosierdzia: Stan aktualny, perspektywy [Die Apostolische Bewegung der Barmherzigkeit Gottes. Der aktuelle Stand, Perspektiven, in: Być apostołem Bożego Miłosierdzia. Materiały z sympozjum [Ein Apostel der Barmherzigkeit Gottes sein. Materialien des Symposions], Krakau 2001.
Übersetzt von Sabine Lipińska