Einen besonderen Platz in der spirituellen Schule der heiligen Schwester Faustina hat Maria, die Mutter der Barmherzigkeit. Die Andacht zur Muttergottes lernte Schwester Faustina noch in ihrem Elternhaus, im Kloster vertiefte sie sie nur. Dabei half ihr nicht nur die Spiritualität der gesamten Kongregation, für die die Muttergottes der Barmherzigkeit die Hauptpatronin ist, sondern auch ein sehr persönliches Verhältnis zu Maria. In vielen Offenbarungen, Visionen und Begegnungen zeigte Maria der Schwester Faustina das Geheimnis der Barmherzigkeit Gottes in Ihrem Leben, sie belehrte sie auch, stärkte, begleitete sie in ihrer prophetischen Sendung. Ich bin eure Mutter aus der unergründlichen Barmherzigkeit Gottes (TB 449) – sagte sie – Ich bin nicht nur Königin des Himmels, sondern auch Mutter der Barmherzigkeit und deine Mutter (TB 330).
Maria war für Schwester Faustina vor allem die Mutter des Sohnes Gottes – der Fleischgewordenen Barmherzigkeit und aus dieser Barmherzigkeit war sie auch Mutter jedes Menschen. Als sorgsame und beste Mutter und Meisterin des geistlichen Lebens belehrte sie Schwester Faustina, wie sie Gott in ihrer Seele betrachten soll, wie sie dem Willen Gottes treu bleiben soll, wie sie das Kreuz lieben kann, aber auch welche Tugenden die Haltung des Vertrauens zu Gott und der Barmherzigkeit gegenüber den Nächsten bilden. Ich erblickte die Muttergottes – schrieb Schwester Faustina – die mir sagte: O wie angenehm ist Gott eine Seele, die treu dem Hauch seiner Gnade folgt. Ich gab der Welt den Erlöser und du sollst der Welt von seiner großen Barmherzigkeit erzählen und sie auf seine Wiederkunft vorbereiten, wenn Er nicht als barmherziger Erlöser, sondern als gerechter Richter kommen wird. O, dieser Tag ist schrecklich. Der Tag der Gerechtigkeit ist beschlossen, der Tag des Zornes Gottes; vor ihm zittern die Engel. Künde den Seelen von dieser großen Barmherzigkeit, solange die Zeit des Erbarmens währt. Wenn du jetzt schweigst, wirst du an jenem schrecklichen Tag eine große Zahl von Seelen verantworten müssen. Fürchte nichts, bleibe treu bis zum Ende. Ich fühle mit dir (TB 635).
Als die Kongregation die Muttergottes als himmlische Generaloberin (am 15. August 1937) wählte, sah Schwester Faustina in einer Vision alle Schwestern von dem Mantel der Muttergottes umhüllt und hörte die Worte eines großen Versprechens: Jede, die bis zum Tode eifrig in meiner Kongregation ausharrt, bleibt vom Fegefeuer verschont. Ich wünsche, dass sich jede durch folgende Tugenden auszeichnet: Demut und Sanftmut, Keuschheit, Gottesliebe und Nächstenliebe, Güte und Barmherzigkeit. Nach diesen Worten entschwand mir die ganze Kongregation; ich blieb mit der Heiligen Gottesmutter allein. Sie belehrte mich über den Willen Gottes, wie er im Leben anzuwenden sei und wie man sich restlos seinem heiligsten Urteil unterwerfen soll. Gott zu gefallen, ist nicht möglich, ohne seinen heiligen Willen zu tun. – Meine Tochter, mit Nachdruck empfehle ich dir, dass du alle Wünsche Gottes treu erfüllst, denn das findet großes Wohlwollen in Seinen heiligen Augen. Ich wünsche, dass du dich hervortust, den Willen Gottes treu zu vollziehen. Stelle den Willen Gottes über alle Brandopfer und Opfer (TB 1244).
Die Andacht zur Muttergottes ist das nächste bedeutende Element in der Spiritualität Schwester Faustinas. Sie lernte diese Andacht seit ihren frühesten Jahren. Bereits in ihrer Kindheit hörte sie, wie ihr Vater seit dem frühen Morgen im Gesang der Stundengebete Maria und Deren unbefleckte Empfängnis pries. In der Familie Kowalski war es Tradition, im Mai die Lauretanische Litanei zu singen und im Oktober den Rosenkranz zu beten. In der Stube stand neben einem kleinen Bild des Gekreuzigten eine Figur der Muttergottes, vor der alle jeden Tag zum Gebet knieten, und im Birnbaum vor dem Haus hing eine kleine Kapelle, bei der man sich in den Sommermonaten zum Gebet versammelte. Man kann sagen, dass Maria im Leben Schwester Faustinas von der Wiege an gegenwärtig war und dass es ganz selbstverständlich erschien, sich in jeder Not an Sie zu wenden. Als sie nach Warschau fuhr, um in ein Kloster einzutreten, suchte sie denn auch Rat und Hilfe zuerst bei der Muttergottes. Als ich aus dem Zug ausgestiegen war – erinnert sie sich Jahre später in ihrem Tagebuch an diese Ereignisse – und sah, dass jeder in seine Richtung ging, packte mich Angst. – Was soll ich tun? – An wen soll ich mich wenden, ohne irgendwelche Bekannte zu haben? Ich sagte zur Gottesmutter: «Maria, führe mich, leite mich.» – Sofort vernahm ich in meinem Inneren die Worte: Ich soll aus der Stadt heraus in ein gewisses Dorf fahren, dort werde ich eine sichere Übernachtung finden, was ich auch tat und alles so fand, wie die Gottesmutter es mir gesagt hatte (TB 11). Die Beschreibung dieses Ereignisses zeugt von der Einfalt dieses 19-jährigen Mädchens im Umgang mit der Muttergottes und von der Fähigkeit, Ihre Anweisungen zu hören.
Im zwanzigsten Lebensjahr trat Helena Kowalska in die Kongregation der Schwestern der Muttergottes der Barmherzigkeit ein, in der sich ihre Marienverehrung noch mehr entwickelte und vertiefte. Denn von nun an war sie die Tochter Jener, die seine Barmherzigkeit von Geschlecht zu Geschlecht preist, die seinen Preis kennt und weiß, wie hoch er ist (DM 9), die Ihr ganzes Leben mit dem Erlösungswerk Ihres Sohnes verbunden hatte. Und als gute Tochter lernte sie von der Mutter, wie sie ihre Berufung erfüllen und mit dem Barmherzigen Jesus im Werk der Rettung verlorener Seelen zusammenarbeiten, wie sie Gott und die Menschen lieben sollte.
Maria als Mutter
Unter all den sehr zahlreichen Titeln, mit denen Maria im Christentum verehrt wird, taucht in den Schriften Schwester Faustinas am häufigsten der Titel auf, der dem menschlichen Herzen am nächsten ist: Mutter, Mutter Gottes und ihre Mutter.
In der Kongregation, in die Jesus Schwester Faustina berief, wurde die Heiligste Jungfrau Maria in besonderer Weise verehrt – als Muttergottes der Barmherzigkeit. Sie nämlich ist Die, die in außergewöhnlicher Weise Barmherzigkeit erfuhr, weil sie vom Makel der Erbsünde bewahrt, mit der Fülle der Gnade beschenkt und zur Würde der Mutter des Sohnes Gottes erhoben wurde. Sie gab der Welt die Mensch gewordene Barmherzigkeit. Maria ist gleichzeitig Die, die auf außerordentliche Weise mit dem Opfer des Herzens ihr Teilnehmen an der Offenbarung des göttlichen Erbarmens möglich gemacht hat (DM 9), als es Ihr zufiel, auf dem Kalvarienberg unter dem Kreuze Ihres Sohnes zu stehen. Deshalb also kennt [sie] am tiefsten das Geheimnis des göttlichen Erbarmens. Sie kennt seinen Preis und weiß, wie hoch er ist (DM 9). Maria wurde schließlich durch die verborgene und zugleich einzigartige Teilnahme an der messianischen Aufgabe ihres Sohnes ganz besonders dazu berufen, den Menschen die Liebe nahe zu bringen, die zu offenbaren er gekommen war (DM 7). Daher verehren die Schwestern der Muttergottes der Barmherzigkeit Maria gerade mit diesem Titel. Sie wird als Marienfigur mit weit zu den Menschen ausgebreiteten (hilfsbereiten) Armen dargestellt, über denen Ihr Mantel schwebt, der von Anfang an in der Ikonographie als Symbol der Obhut und der Barmherzigkeit der Muttergottes gegenüber den Menschen verwendet wird.
Schwester Faustina verehrte Maria immer als Mutter des Sohnes Gottes, der Mensch gewordenen Barmherzigkeit. Sie behandelte Maria niemals gesondert, sondern immer in Verbindung mit Jesus, als Seine Mutter, die am Erlösungsauftrag Ihres Sohnes teilnahm. In zahlreichen Visionen zeigte sich die Heiligste Mutter Schwester Faustina zusammen mit Ihrem Sohn (TB 608, 846 und andere) oder als Die, die zu Ihm führt, Die ganz auf Seine Person ausgerichtet ist und an Seinem Werk der Rettung von Seelen teilnimmt.
Schwester Faustina schrieb in ihrem Tagebuch häufig über die Rolle Marias als Muttergottes der Barmherzigkeit, wobei sie nicht nur die Barmherzigkeit bemerkte, die Sie in höchstem Maße erfahren hatte, sondern auch das, was Gott den Menschen durch Sie schenkt.
Wie durch das reinste Kristall
drang durch Sie Gottes Erbarmen zu uns Menschenkindern.
Durch Sie wurden wir Menschen Gott wieder lieb,
Durch Sie lässt uns Gott reiche Gnaden finden.
(TB 1746)
Maria war für Schwester Faustina nicht nur die Mutter des Sohnes Gottes, sondern auch ihre persönliche, geistige Mutter. Die Wahrheit über die geistige Mutterschaft Marias, die die heilige Kirche bekennt, brachte die Muttergottes Schwester Faustina auf besondere Weise in Erinnerung, indem Sie sie als Geschenk der Barmherzigkeit Gottes bezeichnete. Beim Fest der Namenspatronin der Kongregation – schrieb Schwester Faustina – erblickte ich die Heiligste Jungfrau in unsagbarer Schönheit. Sie kam vom Altar an meinen Beichtstuhl heran, drückte mich an Sich und sagte: Ich bin eure Mutter aus der unergründlichen Barmherzigkeit Gottes (TB 449, vgl. TB 805). Außerdem sprach sie zu Schwester Faustina: Meine Tochter, Ich bin von Gott beauftragt, dir in einmaliger und besonderer Weise Mutter zu sein, aber Ich wünsche, dass du Mir in besonderer Weise Kind bist (TB 1414).
Schwester Faustina erfüllte diesen Wunsch der Heiligsten Jungfrau von ganzem Herzen, indem sie Ihre treue und liebende Tochter wurde. Nach den ewigen Gelübden verstärkte sich die Bindung zu Maria als Mutter noch mehr, was Schwester Faustina auf folgende Weise ausdrückte: Mutter Gottes, Heiligste Maria, meine Mutter, Du bist jetzt in besonderer Weise meine Mutter, und zwar deshalb, weil Dein geliebter Sohn mein Bräutigam ist, so sind wir beide Deine Kinder. Um Deines Sohnes willen musst du mich lieben. Maria, meine liebste Mutter, leite mein inneres Leben, damit es Deinem Sohn wohlgefällt (TB 240).
Diese sehr persönliche Beziehung Schwester Faustinas zur Heiligen Mutter ist in verschiedenen Situationen ihres alltäglichen Lebens sichtbar, über die sie in ihrem Tagebuch schreibt. Maria überließ sie ihre freudvollen Augenblicke, wie die ewigen Gelübde (TB 260) und die Zeiten des Leidens, in denen zu klagen sie nicht zögerte. Ihr vertraute sie ihr ganzes Leben an: Meine Mutter und meine Gebieterin, ich überlasse Dir meine Seele und meinen Leib, mein Leben und meinen Tod und was danach folgt. Alles lege ich in Deine Hände, o meine Mutter (TB 79). Sie bat Sie um besondere Gnaden: Reinheit des Herzens, der Seele und des Leibes (TB 79), den Schutz vor allen Feinden der Erlösung (TB 79), um die Gnade der Treue in den inneren Eingebungen und die treue Erfüllung von Gottes Willen (TB 170), und all das, um Jesus noch lieber zu werden und Seine Barmherzigkeit würdig vor aller Welt zu preisen in alle Ewigkeit (TB 220).
Die Heilige Mutter ließ sie oftmals ihre mütterliche Liebe und Fürsorge spüren (TB 798, 1114). Einmal besuchte mich die Gottesmutter. Sie war traurig und schaute zu Boden. Sie gab mir zu erkennen, dass Sie mir etwas zu sagen hätte, andererseits gab sie mir zu erkennen, dass sie nicht gern sprechen wollte. Als ich dessen gewahr wurde, fing ich an, die Gottesmutter zu bitten, es mir zu sagen und auf mich zu schauen. Sofort sah mich Maria mit gütigem Lächeln an und sagte: «Du wirst bestimmte Leiden zu ertragen haben wegen deiner Krankheit und der Ärzte; auch des Bildes wegen wirst du auf viele Leiden stoßen; doch ängstige dich nicht». Am nächsten Tag wurde ich krank und musste viele Qualen ertragen, so, wie es mir die Muttergottes gesagt hatte. – Doch meine Seele ist auf Qualen vorbereitet (TB 316). Schwester Faustina war sich dessen bewusst, dass Maria als gute Mutter wachte, sich sorgte und unablässig bei ihrem Kinde gegenwärtig war. Sie ist immer mit mir – schrieb sie im Tagebuch – wie eine gute Mutter schaut sie auf alle meine Erlebnisse und Anstrengungen (TB 798). Schwester Faustina fühlte sich so sehr als Kind der Muttergottes, dass sie wünschte, dass in dem Kloster, das sie gründen wollte, Maria die Oberin sein sollte und die Schwestern Ihre treuen Töchter (TB 568), so wie es in ihrer Mutterkongregation war.
Maria gestattete ihrer geistigen Tochter, an ihren Erlebnissen und Geheimnissen teilzuhaben. Du bereitest Mir große Freude – ließ sie Schwester Faustina wissen – wenn du die Heilige Dreifaltigkeit für die mir erteilten Gnaden und Vorrechte preist (TB 564). Am Heiligen Abend 1937 schrieb Schwester Faustina: Nach der heiligen Kommunion ließ mich die Muttergottes die Sorge in Ihrem Herzen, die Sie um Ihren Göttlichen Sohne hatte, sehen. Aber dieser Kummer war mit dem Duft der Hingabe an den Willen Gottes erfüllt, so dass ich eher Wonne sagen würde, als Kummer (TB 1437). Ein andermal – notierte Schwester Faustina – sah ich die Freude der Heiligsten Jungfrau bei Ihrer Aufnahme in den Himmel (TB 1244, vgl. TB 182). Schwester Faustinas Beziehung zur Heiligsten Mutter war so außergewöhnlich herzlich und eng, stützte sich auf eine so große Vertrautheit, wie sie nur zwischen einer über alles liebenden Mutter und der Tochter, die Sie liebt, existiert.
Maria als Vorbild und Meisterin des inneren Lebens
Seit den frühesten Jahrhunderten des Christentums galt Maria als Vorbild eines Lebens nach dem Evangelium, das sich auf Glaube, Hoffnung und Liebe stützt, als Abbild der vollkommenen Vereinigung mit Christus in Seinem Leben und in der apostolischen Sendung, als Beispiel des Gehorsams und der Suche nach dem Willen Gottes in jeder Sache, als Beispiel der Fügsamkeit gegenüber den Eingebungen des Heiligen Geistes und auch in der Empfindsamkeit für alle Bedürfnisse des Mitmenschen.
Für Schwester Faustina war Maria vor allem ein Vorbild im Vertrauen zu Gott, das heißt in der Erfüllung Seines heiligen Willens und in der Barmherzigkeit gegenüber den Menschen. In Ihrem Herzen – schrieb sie im Tagebuch – war keine andere Bewegung, als das was Gott will (TB 1710, vgl. TB 1437), obwohl in Ihrem Leben oftmals ein Schwert des Schmerzes Ihre Seele durchdrungen hatte (TB 915). Bei der Betrachtung Ihres Lebens erkannte Schwester Faustina auch, dass ein vollkommenes Leben im Glauben, und damit die Erfüllung von Gottes Willen, vom Grad der liebenden Vereinigung mit Jesus abhängig ist. O Maria – schrieb sie, als sie das Geheimnis der Opferung Jesu im Tempel betrachtete – heute hat ein furchtbares Schwert Deine heilige Seele durchdrungen. Außer Gott weiß niemand von Deinem Leiden. Deine Seele bricht nicht zusammen; sie ist mutig, denn sie ist mit Jesus (TB 915).
Die Heiligste Mutter war für Schwester Faustina nicht nur ein Vorbild, was das völlige Vertrauen zu Gott betrifft, das sich von ihrem fiat bei der Verkündigung in Nazaret bis hin zum Tode Ihres Sohnes auf Golgota ausdrückte, sondern auch ein Vorbild in allen Tugenden, unter denen sie besonders Keuschheit (TB 161), Demut (TB 161), Stille und Geistessammlung (TB 1398) schätzte sowie die verborgene Zusammenarbeit mit Jesus im Werk der Erlösung von Seelen und Ihre völlige Hingabe an die Person und das Werk Ihres Sohnes. Maria war für sie Vorbild in der jungfräulichen Hingabe an Gott und zugleich in der geistigen Mutterschaft gegenüber den Seelen, deshalb lernte sie von ihr, die Seelen zu lieben und sogar die größten Opfer für deren Erlösung zu bringen.
Maria war für Schwester Faustina nicht nur ein objektives Vorbild des christlichen Lebens, das man genau anschauen und im eigenen Leben widerspiegeln sollte, sondern auch eine Person, die tätigen Anteil an der Bildung des geistigen Lebens hatte, deshalb nannte sie Sie ihre Meisterin (TB 620), Meisterin des inneren Lebens, die nicht nur theoretisch belehrt, wie man für Gott und die Seelen leben soll, sondern dies auch am Beispiel des eigenen Lebens zeigt. Schwester Faustina schenkte Maria also voller Vertrauen ihr inneres Leben, indem sie Sie bat, dieses zu lenken. O strahlende Jungfrau, so rein wie Kristall, ganz in Gott vertieft – wandte sie sich im Gebet an die Muttergottes – ich schenke Dir mein inneres Leben. Richte alles so ein, dass es Deinem Sohne wohlgefällt (TB 844). Solche Bitten erneuerte sie häufig, und Maria als beste Mutter lehrte Schwester Faustina, wie sie handeln, worin sie sich üben und worauf sie in ihrem inneren Leben ihr Augenmerk richten sollte. Bei diesen Anstrengungen wurde sie von der Gottesmutter unterstützt, die für sie die notwendigen Gnaden erbat.
Maria lehrte sie vor allem, Gott in der eigenen Seele zu entdecken. Die Gottesmutter belehrt mich – schrieb, Schwester Faustina im Tagebuch – über das innere Leben der Seele mit Jesus, besonders in der heiligen Kommunion (TB 840). Aber nicht nur dann. Anlässlich der Vorbereitung auf das Weihnachtsfest schlug Sie Schwester Faustina vor, Jesus, der in ihrer Seele lebt, unablässig zu verehren. Meine Tochter – belehrte Sie sie – bemühe dich um Stille und Demut, damit Jesus, Der stets in deinem Herzen wohnt, ausruhen kann. Verehre Ihn in deinem Herzen, gehe nicht aus deinem Inneren heraus (TB 785). Schwester Faustina erfüllte treu die Ratschläge der Muttergottes, Ihre Ermunterungen, mit Gott in der eigenen Seele zu verkehren, dort Seine Gegenwart und Macht zu entdecken. Deshalb suchte sie Gott nicht irgendwo in der Ferne, sondern konzentrierte ihr ganzes inneres Leben auf die Entwicklung der Bindung an Ihn, der in ihrer Seele lebte.
Die Heiligste Jungfrau ermunterte sie auch dazu, den Willen Gottes treu zu erfüllen. Meine Tochter – sprach Sie – mit Nachdruck empfehle Ich dir, dass du alle Wünsche Gottes treu erfüllst, denn das findet großen Wohlwollen in Seinen heiligen Augen. Ich wünsche, dass du dich darin hervortust, den Willen Gottes treu zu vollziehen. Stelle den Willen Gottes über alle Brandopfer und Opfer (TB 1244). Sie belehrte sie, alle Forderungen Gottes anzunehmen wie ein kleines Kind, ohne alle Spekulationen, weil dies Gott anders nicht gefalle (TB 529), da es Ausdruck des mangelnden Vertrauens in Seine Weisheit, Allmacht und Liebe sei. Sie zeigte selbst, am Beispiel Ihres eigenen Lebens, das Sie Schwester Faustina zu betreten erlaubte, worauf die vollkommene Erfüllung von Gottes Willen beruht, nämlich diesen nicht nur äußerlich zu vollziehen, sondern auch innerlich den eigenen Willen mit dem Willen Gottes in Einklang zu bringen (TB 1437). Schwester Faustina bekannte offen, dass Maria sie gelehrt hatte, Gott innerlich zu lieben und in allem Seinen hl. Willen zu tun (TB 40), weil es anders nicht möglich war, Ihm (TB 1244) oder der Muttergottes zu gefallen. Die Seele, die den Willen Gottes treu erfüllt, ist Mir die liebste (TB 449) – beteuerte Maria.
Mit der treuen Erfüllung von Gottes Willen ist untrennbar das Kreuz verbunden. Deshalb lehrte die Muttergottes Schwester Faustina viele Male die Kunst, Leiden, denen niemand ausweichen kann, anzunehmen und zu ertra- gen. Wisse, meine Tochter – sprach Maria zu ihr – obwohl Ich zur Würde der Mutter Gottes emporgehoben wurde, haben sieben Schmerzensschwerter Mein Herz durchstoßen (TB 786). Sie riet Schwester Faustina, sogar in Augenblicken der Freude den Blick immer aufs Kreuz zu richten (TB 561), auf die Leiden Ihres Sohnes; auf diese Weise werde sie den Sieg davontragen (TB 449). Indem Maria auf ihr eigenes Leben verwies, lehrte Sie Schwester Faustina, dem Kreuz weder auszuweichen noch es zu meiden, sondern es immer anzunehmen, denn es gehört zum Plan Gottes. Die Annahme des Kreuzes führt immer zum Sieg, zur Reinigung der Seele und somit zu einer engeren Vereinigung mit Jesus und einer vollständigeren Teilnahme an Seiner Heilssendung.
Als Tochter der Muttergottes der Barmherzigkeit sollte Schwester Faustina sich außerdem durch folgende Tugenden auszeichnen: Demut, Sanftmut, Reinheit, Gottesliebe und Nächstenliebe, Güte und Barmherzigkeit (TB 1244). Ich wünsche, Meine liebste Tochter – sprach die Muttergottes ein andermal – dass du dich in drei Tugenden übst, die mir am teuersten und Gott am liebsten sind: Erstens – Demut, Demut und nochmals Demut; die zweite Tugend – Keuschheit; die dritte Tugend – Gottesliebe. Als Meine Tochter musst Du in diesen Tugenden besonders strahlen (TB 1414-15).
Maria als Meisterin des inneren Lebens erteilte Schwester Faustina nicht nur Ratschläge, die ihre persönliche Vollkommenheit betrafen, sondern auch die eng damit verbundene apostolische Sendung, die ihr Christus anvertraut hatte. Ich gab der Welt den Erlöser und du sollst der Welt von Seiner großen Barmherzigkeit erzählen und sie auf Seine Wiederkunft vorbereiten (…). Künde den Seelen von dieser großen Barmherzigkeit, solange die Zeit des Erbarmens währt. Wenn du jetzt schweigst, wirst du an jenem schrecklichen Tag eine große Zahl von Seelen verantworten müssen (TB 635). Nach diesen Worten voller Ernst und Verantwortung stärkte die Heiligste Mutter sie, indem Sie sprach: Fürchte nichts, bleibe treu bis zum Ende. Ich fühle mit dir (TB 635). Die Aufgabe der Schwester Faustina beruhte darauf, die Barmherzigkeit Gottes der ganzen Welt zu verkünden, durch Tat, Wort und Gebet. In dieser Sendung wurde sie von der Muttergottes gestärkt, die auf sich selbst als Vorbild eines verborgenen Lebens und der unentwegten Fürbitte im Gebet verwies. Euer Leben – sprach Sie zu Schwester Faustina – soll Meinem Leben ähnlich sein, still und verborgen; unentwegt mit Gott vereint, für die Menschen bitten und die Welt auf die Wiederkunft Gottes vorbereiten (TB 625). Ein andermal bat die Muttergottes nicht mehr um das Gebet, sondern verlangte es: Meine Tochter – sprach Sie – ich verlange von dir Gebet, Gebet und nochmals Gebet – für die Welt und besonders für dein Vaterland (TB 325).
Schwester Faustina erwies sich als sehr eifrige und treue Schülerin der Muttergottes. Sie hörte nicht nur auf Ihre Ratschläge und Anweisungen, sondern erfüllte diese auch gewissenhaft. Das Bestreben, Maria nachzueifern und die Erfüllung Ihrer Anweisungen brachte im Leben Schwester Faustinas schnell die erwarteten Früchte. Je mehr ich der Muttergottes nacheifere – schrieb sie – desto tiefer erkenne ich Gott (TB 843). Dass sie Maria treu nacheiferte, heiligte ihre Seele (TB 161) und führte sie zu einer engeren Vereinigung mit Jesus. Die Andacht zur Muttergottes hatte im Leben Schwester Faustinas nicht die Form der Devotion, war nicht nur Frömmigkeit zu Maria, sondern vor allem Frömmigkeit nach dem Vorbild Marias. Schwester Faustina betete nicht nur zur Muttergottes und feierte Ihre Feste, sondern eiferte Ihr auch inbrünstig nach. Sie lernte von Ihr, das Geheimnis der Barmherzigkeit Gottes zu erkennen und im Alltag zu betrachten, Gott zu vertrauen und den Nächsten Barmherzigkeit zu erweisen sowie am Leben und der Sendung Jesu im Werk der Rettung verlorener Seelen teilzunehmen. Schwester Faustina war eine treue Schülerin und geliebte Tochter der Muttergottes der Barmherzigkeit, die in ihrem Leben Ihr Leben widerspiegelte: still und verborgen, aber gleichzeitig so überreich an Früchten in der Heilssendung Jesu.
Sr. M. Elżbieta Siepak ISMM
„Die Spiritualität der Heiligen Schwester Faustina“
Übersetzt von Sabine Lipinska
Bearbeitet von Sr. M. Koleta Fronckowiak ISMM