Prof. M. Sopoćko begegnete der Schwester Faustina Kowalska zum ersten Mal im Juni 1933 in Wilna, wo er ordentlicher Beichtvater der Kongregation der Schwestern der Muttergottes der Barmherzigkeit war. Gleich am Anfang erklärte sie mir – erinnerte er sich nach Jahren – dass sie mich aus einer Vision kenne, dass ich ihr Gewissensführer sein solle und dass ich irgendwelche Pläne Gottes verwirklichen müsse, die durch sie vermittelt werden sollten. Prof. Sopoćko war der Beichtvater und Seelenführer der Schwester Faustina bis zum 21. März 1936, also bis zu ihrer Abreise aus Wilna. Danach unterhielt er mit ihr einen regen Briefkontakt, den er nutzte, um ihr Ratschläge und Anweisungen in Bezug auf ihr geistiges Leben und die Verwirklichung der Sendung zu erteilen; bei seinen Aufenthalten in Krakau besuchte er sie im Kloster oder im Krankenhaus in Prądnik. Auf seine Anweisung begann Schwester Faustina mit dem Schreiben des „Tagebuchs”. Er kümmerte sich auch darum, dass 1934 in Wilna das erste Bild des Barmherzigen Jesus gemalt und während der Jubiläumsfeierlichkeiten vom 26.-28. Apil 1935 im Ostra-Brama-Tor öffentlich verehrt wurde. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg bemühte er sich bei den kirchlichen Behörden um die Einsetzung des Festes der Barmherzigkeit Gottes. Er verfasste zahlreiche Arbeiten, die der Wahrheit der Barmherzigkeit Gottes gewidmet waren. Bis zum Ende seines Lebens bemühte er sich um die Einsetzung des Festes und um die Genehmigung des Kultes der Barmherzigkeit.
Er wurde am 1. November 1888 in Juszewszczyna, im Kreis Oszmiana geboren. 1910 trat er in das Priesterseminar in Wilna ein, und 1914 erhielt er die Priesterweihe. Anschließend war er vier Jahre lang als Vikar in Taboryszki tätig. Von 1919-1924 war er Militärgeistlicher in Warschau und absolvierte gleichzeitig ein Spezialstudium an der Theologischen Fakultät der Universität Warschau und am Pädagogischen Institut. 1924 wurde er nach Wilna versetzt, wo er bis 1932 die Funktion eines Militärgeistlichen bekleidete. Seit 1928 war er als Vertreter des Professors für Pastoraltheologie an der Theologischen Fakultät der Stefan-Batory-Universität beschäftigt. Von 1927-1932 bekleidete er die Funktion eines geistlichen Paters im Wilnaer Priesterseminar. 1947 kam er nach Białystok und über- nahm Vorlesungen im Priesterseminar, die er bis 1962 hielt. Die Vielfalt seines priesterlichen Dienstes ist erstaunlich: Er war Seelsorger in einer Pfarrei, Katechet, eine prägende Persönlichkeit des Schulwesens, Pädagoge, Dozent an der Universität und im Priesterseminar, geistlicher Pater, Beichtvater der Klosterschüler, Priester und Ordensschwestern, Militärgeistlicher, Aktivist gegen den Alkohol und Erbauer von Kirchen.
Er starb am 15. Februar 1975 in Białystok. 1987 wurde auf Diözesanebene mit seinem Seligsprechungsprozess begonnen, 1993 dann die Prozessakten an die Kongregation für Heiligsprechungen in Rom weitergeleitet. Im Jahre 2004 verkündete der Heilige Vater Johannes Paul II. das Dekret über die Heldenhaftigkeit der Tugenden des Dieners Gottes und danach ein Dekret über ein Wunder, das seiner Fürsprache zugeschrieben wurde. Die Seligsprechung fand am 28. September 2008 in Białystok statt. Seine Reliquien ruhen in der Kirche der Barmherzigkeit Gottes in Białystok, die in den Rang eines Diözesanheiligtums erhoben wurde.
EIN HEILIGER KOMMT SELTEN ALLEIN
Die Heiligen finden sich auf Erden, erkennen einander, unterstützen sich gegenseitig und lernen von einander. Es gibt zahlreiche Beispiele für solche heiligen Paare: Franz von Assisi und Klara, Franz von Sales und Johanna von Chantal, Albert Chmielowski und Sr. Bernarda Maria Jabłoński. So war es auch bei der hl. Schwester Faustina und ihrem Beichtvater, dem sel. Michał Sopoćko. In ihm fand Schwester Faustina nach Gottes Ratschluss jene sichtbare Hilfe hier auf Erden, dank der sie den Willen Gottes erfüllen sollte (TB 53). Aber auch sie, ihr Streben nach Heiligkeit und die Sendung, die ihr von Jesus anvertraut worden war, beeinflussten des geistige Leben und das Apostolat ihres Beichtvaters.
Die Lektüre des „Tagebuchs” zeigt Schwester Faustina einerseits als Person, die Leiden und Proben unterworfen war, und sich nicht sicher war, ob das, was sie erlebte, von Gott kam, andererseits ein Mensch, der Trös0 tungen, Frieden, Nähe und die Liebe Gottes erfuhr. Sie ist den Pflichten, der Arbeit und dem Gebet treu, erträgt geduldig ihre Krankheit, ringt sich zu heldenhaften Akten der Wiedergutmachung für die Sünden anderer durch. Ihre Kraft war der vertrauensvolle und aufrichtige Glaube. Sie wuchs in einer einfachen, aber religiösen und rechtschaffenen Familie auf, wo das Gute deutlich und eindeutig auf Gott als die Quelle des Guten und der Liebe bezogen wurde. Diese Geisteshaltung öffnete sie für Gott, für Seine Eingebungen, motivierte sie auf dem Weg der Berufung zu Treue, die sie mitunter im Alltag viel kostete, mehr noch – mit Leiden einverstanden zu sein, die sie Gott für andere opferte. Zweifellos waren auch die aufrichtige und inbrünstige Aufnahme des Ordenslebens, das mit den Weisungen der Ordensregel übereinstimmende Verhalten, Gebet und sakramentales Leben ihre Stärke.
Ob die Offenbarungen, inneren Erfahrungen und Erlebnisse ihre Heiligkeit formten? „Sie quälte sich mit ihnen.” Sie waren der Grund des Zögerns und verschiedener Zweifel. Viele Male stellte sie sich die Frage: Ist das wahr? Ist das möglich? Und hier war jemand nötig, der sie anhörte, verstand und ihr offen und ehrlich sagte, ob das, was sie erfuhr, wahr war, ob es von Gott kam. Es war jemand nötig, der diese Dinge verstand, Wissen hatte, vom Geist Gottes erfüllt war und sich ihrer Sache annehmen wollte.
In dieser Situation erschien Priester Sopoćko. Sein Lebensweg war bis zu dem Augenblick, als er Schwester Faustina begegnete, dem ihren ähnlich. Geprägt durch sein Elternhaus und das Milieu, in dem er heranwuchs, bereitete er sich auf den Priesterstand vor; er erhielt alles, was einem authentisch menschlichen, christlichen Weg diente, dem Weg der priesterlichen Berufung: Vertrauen, Offenheit und Empfindsamkeit für Gott, die Bereitschaft, Mühen auf sich zu nehmen, Opferwilligkeit, das Verlangen, sich dem Dienste Gottes zu widmen. Er lebte auch redlich nach den Erfordernissen des Priesterstandes.
Als er Schwester Faustina begegnete, tauchte in seinem Leben eine neue Aufgabe auf: beide standen vor demselben Problem, vor derselben Herausforderung: der Verkündung des Geheimnisses der Barmherzigkeit. Sie waren offen für die Stimme Gottes, für Seine Eingebungen, gehorsam und treu zur ihnen übertragenen Sendung. Sie befanden sich auf einem ausreichend hohen geistigen Niveau, um sich gegenseitig zu helfen. Aber in Wirklichkeit war es Gott, der alles lenkte, es war ja doch Sein Werk. Sie mussten jedoch zu Beginn menschliche Widerstände überwinden, sich gegenseitig kennen lernen, erproben bzw. prüfen. Aus dem „Tagebuch” wissen wir, dass Schwester Faustina ihrem Beichtvater nicht sofort alles sagte, obwohl er ihr von Gott gezeigt und erbetet worden war. Jesus selbst musste sie daran erinnern (siehe TB 263, 269, 144). Ähnlich wollte auch Priester Sopoćko das Beichten im Kloster der Schwestern der Muttergottes der Barmherzigkeit aufgeben und Schwester Faustina einer Probe unterziehen. Aber schließlich zeigte er sich der Aufgabe gewachsen.
Wobei half Prof. Sopoćko der Schwester Faustina? Als Priester, Beichtvater von amtswegen hatte er eine belehrende Rolle und war für die ihm anvertraute Pönitentin und das Werk der Barmherzigkeit Gottes, das ihm enthüllt wurde, verantwortlich. Jesus selbst gab Schwester Faustina die Anweisung, auf ihren Beichtvater zu hören (TB 331, 979, 1308, 1644). Der Gehorsam schützte sie davor, vom Willen Gottes abzuweichen und half ihr, auf den Pfaden des geistigen Wachstums zu wandeln. Prof. Sopoćko musste sie weder zu Treue zu Gott ermuntern noch darum, sich um das Wachstum ihres geistigen Lebens zu bemühen, denn das wollte sie mit jeder Faser ihres Herzens. Der Beichtvater vermittelte ihr Wissen, aber sie, die so besorgt um die Liebe zu Gott war, durchlief die Stufen der Vollkommenheit gleichsam natürlich, ja vielleicht eilte sie sogar mit ihrem Leben der Lehre voraus, die ihr unterbreitet wurde. Nichtsdestoweniger ist anzuerkennen, dass er es war, der Schwester Faustina auf dem Weg der Heiligkeit führte, worüber sie selbst im „Tagebuch” schrieb (siehe TB 269-270, 331, 444, 144, 145, 937), und vielleicht noch mehr in den Briefen, die sie an ihn richtete.
Eine große Hilfe für Schwester Faustina war bereits die Tatsache, dass sie einen Beichtvater hatte, der sie verstand, unterstützte und stärkte, selbst wenn er im gegebenen Moment nicht alles bis zum Letzten verstand. Er erläuterte, ergründete, bestätigte in der Überzeugung von der Authentizität der Erlebnisse, Visionen, Offenbarungen. Und selbst wenn gewisse Zweifel in dieser Hinsicht aufkommen konnten, dann brachte er bestimmt die Überzeugung zum Ausdruck, das die Verkündigung der Wahrheit über die Barmherzigkeit Gottes, über die Notwendigkeit des Kultes und eines speziellen Festes in jeder Hinsicht wünschenswert war. Er selbst wurde zu einer Hilfe bei der Verwirklichung der Forderungen Jesu, zu der Person, die die apostolische Sendung der Schwester Faustina nach ihrem Tode fortsetzte (TB 53, 436-437).
Und wobei erfuhr Prof. Sopoćko die Hilfe seiner heiligen Pönitentin? Die Sorge um das eigene geistige Leben, seine Entwicklung und sein Wachstum waren ihm, wie bereits erwähnt, nicht fremd. Ähnlich wie Schwester Faustina war er offen für die Aufforderungen Gottes, er bemühte sich, den Willen Gottes zu erfüllen und Gott auf dem Weg seiner priesterlichen Berufung treu zu sein. Durch die Begegnung mit ihr wurde er zu etwas mehr berufen, zu Aufgaben, die sich nicht jeden Tag im priesterlichen Dienst stellen: zum Apostolat der Barmherzigkeit Gottes, zu Bemühungen um die Einsetzung des Festes, zur Sorge um die Verbreitung des Kultes. Allein dass er ins Innerste der Seele der Heiligen Einblick gewann, wurde zu einer besonderen Herausforderung für den von ihm gehegten Wunsch nach persönlicher Heiligkeit. Vor allem ihr Gebet, die Aufopferung von Leiden für ihn wurden eine unschätzbare Hilfe (TB 330, 596, 838, 851, 868, 988). Er lernte von ihr Vertrauen zu Gott, sich Ihm anzuvertrauen. Schwester Faustina stärkte ihn auch sehr in dem Moment, als sie aus dieser Welt schied. Nach ihrer letzten Begegnung und dem Gespräch mit ihr schrieb Prof. Sopoćko: Ich empfand einen großen Schmerz in der Seele und Bitterkeit, dass ich dieses außergewöhnliche Wesen verabschieden sollte, dass ich momentan von allen so verlassen bin. Aber ich verstand, dass, wenn überhaupt jemand, dann ich vor allem auf die Barmherzigkeit Gottes vertrauen muss. (…) Deshalb muss ich die Verzag- theit abschütteln und Ihm vertrauen, vertrauen und noch einmal vertrauen. Die Fürsprache bei Gott und die Versicherung von Hilfe aus dem Hilfe – Auf meine Bitte wünschte sie mir alle Gnaden von Gott und sie verabschiedete sich mit dem Versprechen, hier und nach dem Tode für mich zu beten – waren zweifellos eine große Unterstützung für die apostolischen Anstrengungen von Priester Sopoćko. Vom heiligen Leben und den Offenbarungen der Schwester Faustina inspiriert, wurde er zu einem großen Apostel der Barmherzigkeit Gottes. Als ihr Seelenführer und Zeuge der Geheimnisse ihres innigen Dialogs mit Gott und der in ihr durch Gott vollbrachten Werke berührte er das Geheimnis Gottes umfassender. Seine Sorge um persönliche Vollkommenheit und Treue zur priesterlichen Sendung, die vom Charisma des Apostels der Barmherzigkeit Gottes gezeichnet war und die durch die Begegnung mit der außerordentlichen Pönitentin gestärkt wurden, brachten auch bei ihm persönliche Heiligkeit hervor, wofür wir heute, wo er als Seliger der Kirche auf den Altären verehrt wird, Zeugen sind.
Prof. Henryk Ciereszko
Aus: Botschaft der Barmherzigkeit 70(2009)
Übersetzt von Sabine Lipinska